Nürnberg
"Ich liebe dich, Bob!"

Superstar Dylan beschert 4500 Fans in der Frankenhalle in Nürnberg ein denkwürdiges Konzert

23.04.2018 | Stand 23.09.2023, 3:00 Uhr

Nürnberg (DK) Fränkie schlägt in die Saiten und bläst in seine Mundharmonika. "Ich brauche noch ein Ticket", sagt Fränkie, während im Hintergrund rund 4500 Besucher an diesem Sonntagabend zum Konzert des bald 77-jährigen Bob Dylan in die Nürnberger Frankenhalle strömen. Agnes sucht auf den letzten Drücker noch eine Karte.

 "Dylan ist ein Weltstar. Den will ich sehen. Vielleicht habe ich Glück an der Abendkasse", sagt Agnes und geht an den Menschen mit den "Karten"-Schildern in den Händen achtlos vorbei, die die Verzweiflung von leidenschaftlichen Fans ausnutzen und Last-Minute-Tickets zu Mondpreisen anbieten wollen.

"Bis auf wenige Restkarten sind wir komplett ausverkauft", erklärt Dario Lob von "Argo-Konzerte" aus Würzburg. Derweil packt Fränkie seine Gitarre in den Koffer. "Mir hat tatsächlich jemand eine Karte geschenkt", sagt Fränkie und eilt mit Hut und Koffer zum Eingang. Im Foyer stehen die Dylan-Freunde immer noch an. Diesesmal am Bierstand.

Pünktlich um 20 Uhr betritt Bob Dylan die minimalistische Bühne. Sieben Scheinwerfer baumeln wie lustige Riesenhaartrockner von der Decke und beleuchten cineastisch den schwarzen Flügel, hinter dem Dylan mit "Things have changed" die erste Nummer dieses grandiosen Abends anstimmt. Während der Meister mit "Don't Think Twice, It's All Right" schon den nächsten Song singt, werden viele Opfer der zeitraubenden Bierschlange immer noch im Taschenlampenlicht der Platzanweiser zu ihrem Sitzplatz geführt.

Dann singt Dylan im Licht der Lampen mit warmer Stimme davon, dass er sich auf der dunklen Seite der Straße befindet, und dass es deshalb nichts bringt, wenn sein Baby das Licht anknipst. Dabei geben nebenan noch ein paar Nachzügler mit lauten "Ah. "-Rufen zu erkennen, dass sie den legendären Song aus der Feder des Musikpoeten nun endlich auch erkannt haben. Andere sind bereits in Stimmung und wippen taktvoll mit den Köpfen, so wie man das von früher aus der Hitparade im Fernsehen kennt. Andere tuscheln noch darüber, welches Schuhwerk der Meister zum Betätigen der Pedale seines Pianos verwendet. Aus der Ferne ist das wirklich kaum zu erkennen. Gut, wer wie Ekkard aus Schwabach an den Feldstecher gedacht hat. Dann ist das mit den Cowboystiefeln also auch geklärt.
Den großartigen Auftritt können diese Nebenkriegsschauplätze allesamt nicht erschüttern. Dafür ist die Band, dafür ist Dylan einfach viel zu gut. Die hervorragenden Musiker behandeln die Rocknummern so liebevoll wie klassische Partituren. Bestes Beispiel ist der Trommler, der präzise wie ein eidgenössisches Uhrwerk den Takt vorgibt. Dazu singt Dylan so sanft wie sich Fahrtwind am Mittelmeer anfühlt. Wie Glühwürmchen erleuchten plötzlich kleine Funzeln die Bühne, als Dylan eine zarte Version von "Simple Twist of Fate" zum Besten gibt. Spätestens jetzt wünschen sich viele, sie würden in einer Freiluftarena ohne Hallendach über dem Kopf an diesem Sommerabend mit Dylan auf der Bühne sitzen.

Dann steht Dylan vom Flügel auf und greift sich das Mikrofon wie ein Argentinier seine Braut zum Tango. Von seinem letzten Album "Fallen Angels" singt Dylan den großartigen Sinatra-Klassiker "Melancholy Mood". Bevor er den Jazz-Standard "Come Rain Or Come Shine" aus dem "American Songbook" mit seinem herzergreifenden Reibeisen-Timbre anstimmen kann, tauscht Tony Garnier am Bass seinen Fender gegen einen Kontrabass ein. Den streichelt er so geschmeidig, dass ein mutiger Besucher nach der Nummer ein Liebesbekenntnis in die Stille hinausposaunt: "Ich liebe Dich, Bob. ", ruft der Mann. Und keiner lacht darüber im Publikum.

Dylan gibt diese Liebe auf seine Weise zurück. Er betreibt keinen Smalltalk. Es gibt noch nicht mal ein "Hallo Nürnberg". Dylan biedert sich nicht an. Er drängt sich auch nicht wie ein vulgärer Popstar in den Vordergrund der Bühne. Meistens versteckt er sich sogar ein bisschen hinter seinem schweren Flügel, der nicht wie bei anderen Showgrößen quer sondern frontal zur Bühne positioniert ist. Meistens sitzt er übrigens nicht auf dem Hocker sondern steht wie ein Westernheld breitbeinig hinter dem Instrument mit den schwarz-weißen Tasten.

Nach einer Stunde geben die Besucher auf ihren Sitzen dem kollektiven Bewegungsdrang nach. Wie in den bei Dylan-Fans sicherlich verpönten Schlagershows wird bei "Desolation Row" laut im Viervierteltakt geklatscht.

Das Hallenpersonal hat derweil alle Hände voll zu tun, das wohltuende Handyverbot durchzusetzen. Dylan gestattet keinen Fototerror. Und das ist auch gut so. Mit dem einzigen Nachteil, dass man das schlichte und deswegen so wunderschöne Bühnenbild allein mit Worten im geistigen Auge des Lesers hervorzaubern muss. Da stehen viele kleine, aber feine Bluesverstärker verstreut herum. Da zeichnen die Scheinwerfer unter der Decke die Silhouette eines Zirkuszelts nach. Da stehen Männer in schwarzen Anzügen, die Musik und keine Gesten sprechen lassen. Da gibt es einen ganz großartigen Dylan, der mit seinen Songs die nüchterne Frankenhalle mit Poesie ertränken kann.

Da gibt es natürlich auch die Leute im Publikum, die mit ihrem Dylan älter geworden sind. Sogar Gehhilfen parken vor den Eingängen. Genauso gibt es die jungen Tänzer, die spätestens bei den Zugaben nichts mehr auf den Sitzen hält. Nach 100 Minuten kehrt Dylan der Bühne den Rücken. Das Licht ist aus. Die Besucher gehen glücklich nach Hause. Fränkie packt wieder seine Gitarre aus. Dylan weht bis spät durch die Nürnberger Nacht.

Nikolas Pelke