Ingolstadt
"Ich kandidiere für gar nichts mehr"

Die Direktkandidatin der Grünen, Agnes Krumwiede, sehnt die Zeit nach dem Wahlkampf herbei

18.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:28 Uhr

Im heimischen Garten hält sich Agnes Krumwiede oft auf - vor allem mit ihrem vierjährigen Sohn Jonathan. Oft spielen sie dann Indianer, es gibt aber auch einen kindgerechten Brunnen, eine Schaukel und ganz viele Bäume. - Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Agnes Krumwiede ist krank. Schon wieder. Grippe, mit Fieber, Schnupfen und allem, was sonst noch dazugehört. Alltag für eine alleinerziehende Mutter eines vierjährigen Buben, der in den Kindergarten geht. Aber auskurieren kann sie sich gerade nicht, nicht während des Höhepunkts des Wahlkampfes und auch wegen ihrer anderen Verpflichtungen nicht. Vor gut einer Woche hat sie bei der Nacht der Museen fiebrig und ohne große Vorbereitung als Vertretung die Auktion des Berufsverbands Bildender Künstler (BBK) geleitet. Am Mittwoch war sie bei einer Grünen-Veranstaltung in Eichstätt, am Donnerstag begleitete sie den Bundestags-Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter bei seinem Besuch in Ingolstadt. Dazu warten zahlreiche Anfragen von Medien, Interessengruppen und Wählern auf Beantwortung. Ein bisschen Indianerspielen mit Sohn Jonathan im Garten muss natürlich auch noch drin sein.

"Es ist unglaublich zeitaufwendig, für den Bundestag zu kandidieren, wenn man nicht im Bundestag sitzt", sagt die 40-jährige Klavierlehrerin. Als Abgeordnete, die sie von 2009 bis 2013 war, habe sie einen Mitarbeiter gehabt, der sich auch um die Betreuung der vielen Anfragen gekümmert hat. Außerdem verlange die Vorbereitung auf die Podiumsdiskussionen mit den anderen Kandidaten wesentlich mehr Einarbeitungszeit, wenn man sich nicht täglich in Berlin mit diesen Themen beschäftige. Und den Luxus, sich nur auf den Wahlkampf zu konzentrieren, könne sie sich auch nicht leisten. Angesichts der großen Favoritenrolle Reinhard Brandls für das Direktmandat im Wahlkreis und ihres wenig aussichtsreichen Listenplatzes 50 rechnet sie nicht mit dem Einzug in den Bundestag - Krumwiede: "Ich mache das nur für die Grünen und für meinen Wahlkreis."

Ihre Eltern, in deren großzügigem Haus im Südwesten sie nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 wieder eingezogen ist, unterstützen sie bei der Kinderbetreuung, der Vater des Kindes, der es normalerweise jedes zweite Wochenende zu sich nimmt, macht gerade selbst Wahlkampf - und hat als grüner Spitzenkandidat in Sachsen sogar sehr gute Chancen, wieder in den Bundestag einzuziehen. Zeit ist für Agnes Krumwiede ein rares Gut.

Gerade hatte sie eine Schülerin zum Klavierunterricht da, nach dem Gespräch mit dem DONAUKURIER erwartet sie die nächste, Konferenzen müssen vorbereitet werden. Und dann muss auch schon ihr Sohn Jonathan wieder abgeholt werden. Für Agnes Krumwiede ist klar: "Ich kandidiere für gar nichts mehr. Ich möchte die Zeit mit meinem Kind verbringen."

2013 war für sie eine Zäsur. Sie wohnte mit einer Kollegin, die schon ein kleines Kind hatte, zusammen und dachte daran, wie praktisch es doch wäre, sich die Betreuung aufzuteilen, wenn dann auch ihr Kind geboren sei, das schließlich im Frühjahr zur Welt kam.

Doch es entwickelte sich anders: Wegen des insgesamt schlechten Abschneidens der Grünen langte es für Krumwiede nicht, im Bundestag zu bleiben. Obwohl sie sich in Berlin einen Namen gemacht hatte: unfreiwillig als "Miss Bundestag", zu der sie die "Bild"-Zeitung gekürt hatte, als eine der Hauptfiguren in einer Doku über junge Abgeordnete und natürlich vor allem als kulturpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.

So enttäuscht sie damals zunächst gewesen sei, so dankbar sei sie inzwischen dafür, nicht mehr im Bundestag zu sein. "Man verliert schon die Bodenhaftung", sagt Agnes Krumwiede. "Ich war mit 32, als ich reingekommen bin, auch fast zu jung."

Inzwischen habe sie gelernt, wie wichtig es sei, Teamplayer zu sein, und wie bereichernd, sich mit den Grünen vor Ort auszutauschen. Prompt wurde sie zu einer der Vorsitzenden des neu geschaffenen Bezirksvorstands der Grünen in Oberbayern gewählt, und sie wurde wieder als Direktkandidatin für den Bundestag aufgestellt.

Mit Kulturpolitik beschäftige sie sich kaum noch. "Jetzt sind es Themen, wo es um Menschen geht", sagt sie. Altersarmut bekämpfen, Frauenrechte stärken, die Pflegesituation verbessern, für Menschenrechte eintreten. "An erster Stelle würde ich die Kindergrundsicherung einführen und die Attraktivität der Pflegeberufe verbessern", erklärt Krumwiede. "Und als Zweites würde ich die Transitzentren abschaffen." Denn im Asylrecht gebe es keine Unterscheidung in gute oder schlechte Flüchtlinge - was aber faktisch mit den Lagern für Menschen mit geringer oder keiner Bleibewahrscheinlichkeit konterkariert werde. Da werde sie nicht lockerlassen.

Noch ein paar Tage Wahlkampf. Dann warten andere interessante Aufgaben auf Krumwiede. Sie hat nach ihrer Rückkehr aus Berlin das professionelle Malen für sich entdeckt. Sie hat schon ausgestellt, einige Werke verkauft, erst zuletzt bei der BBK-Auktion hat jemand ein Bild von ihr ersteigert. Es zeigt einen großen traurig dreinblickenden Hund neben einer winzigen Frau in seinem Fressnapf. Ein ähnliches Bild hängt in ihrer Wohnküche - nur dass dort ein Mann im Napf liegt. Tiere sind der Katzenhalterin auch ein Anliegen. Als Nächstes sollen Menschen im Mittelpunkt stehen, sagt sie: Sie habe nach dem Ostsee-Urlaub eine Vision von Menschen am Strand, die sie auf einem großen Ölgemälde festhalten wolle. "Und wenn der Jonathan mich lässt, dann spiele ich auch noch Klavier", sagt sie lächelnd. Das hasse er allerdings.