"Ich bin keiner, der auf Themen aufspringt"

27.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:29 Uhr

Ingolstadt (DK) Im DK-Interview äußert sich Oberbürgermeister Christian Lösel zur Diskussion um die Stadttheatersanierung, zu neuen Flüchtlingsstandorten, möglichen Schulneubauten und vielen weiteren drängenden Themen.

Herr Lösel, Audi-Chef Rupert Stadler hat sich beim DK-Besuch zur jüngsten Entwicklung im Konzern geäußert. Nimmt die Stadt das nicht mit Sorge wahr?

Christian Lösel: Die Stadt macht weiter wie gewohnt. Unsere Bau- und Investitionsmaßnahmen sind orientiert am Bedarf der Ingolstädter. Und die Situation bei VW können wir überhaupt nicht beurteilen. Es ist jetzt Aufgabe der verschiedenen VW-Produktionsstandorte, dass man mit Ruhe und Augenmaß handelt.'



Die Nachricht vom Manipulationsverdacht bei Audi dürfte Sie aber doch überrascht haben.

Lösel: Wir stehen in regelmäßigem und vertrauensvollem Kontakt zu Audi. Aber natürlich wussten wir davon nichts im Vorfeld. Das, was passiert ist, müssen wir uns jetzt auch erklären lassen.



Wir haben auch ein bisschen Erklärungsbedarf bei einem anderen Thema: Warum haben Sie die Debatte um die Stadttheatersanierung vollkommen Ihrem Finanzbürgermeister überlassen – wohingegen Sie zum Beispiel Märchenhütten sehr gerne selbst vorstellen?

Lösel: Ich bin keiner, der schnell auf Themen aufspringt. Und ich wusste, dass wir heute diesen Termin haben und dann die Haushaltsrede. Die große Kunst beim Theater ist es, zu sanieren, ohne die Gästezahlen oder die Abozahlen groß zu beschädigen. Dieser Weg, dass wir zunächst die Kammerspiele brauchen, um das Große Haus verlagern zu können, war innerhalb des Hauses mit allen Verantwortlichen entwickelt worden. Der Stadtrat hat im Juli eine Vorlage beschlossen, da standen die letzten Maßnahmen der Kammerspiele noch für 2020/21 drin. Jetzt hat Albert Wittmann 2019 genannt. Er hat also nichts verzögert, das ist nur falsch angekommen.



Vor ein paar Jahren hieß es doch noch, dass 2015 schon mit der Sanierung des Stadttheaters begonnen werden könnte.

Lösel: Das war vor der Entscheidung, statt einer temporären Ersatzspielstätte mit den Kammerspielen im Klenzepark eine dauerhafte Einrichtung zu schaffen. Dafür muss die Stadt einen Grundstückstausch mit dem Freistaat vornehmen, mit einem Grundstück, das wir aber auch noch nicht haben, nämlich in der Max-Immelmann-Kaserne. Da waren wir uns schon fast handelseinig, jetzt kam wegen der Flüchtlingskrise ein kurzer Stopp.


Und wenn Sie das Grundstück doch nicht bekämen?
Lösel: Ich gehe davon aus, dass wir diesen Stopp lösen können. Sonst suchen wir ein anderes tausende Quadratmeter großes Grundstück im Norden. Aber wir brauchen auch für den Festsaal einen Ersatz. Und das geht nur, wenn der Kongresssaal da ist. Beide Ersatzeinrichtungen sollen 2019 fertig sein.



Wieso hat die Stadt denn nicht längst die Bürger in einer öffentlichen Veranstaltung über den Stand der Theatersanierung informiert?

Lösel: Wir haben ja noch keinen Stand der Sanierung. Wir brauchen erst mal das Grundstück in der Kaserne. Der Plan ist, es im Sommer nächsten Jahres zu kaufen und dann die Exponate, die sich jetzt in der Halle auf dem Grundstück im Klenzeparks befinden, dorthin zu verlagern. Wenn das beides geschehen ist, kann man sicher informieren, auch in einer Informationsveranstaltung.


In der Wahrnehmung einiger Kritiker ist der politischen Spitze das Stadttheater nicht so wichtig. Was sagen Sie dazu?

Lösel: Es vergeht kein Monat, in dem nicht eine neue Stufe betreten worden ist, um voranzukommen. Es geht darum, alles sauber hinzubekommen. Wenn alles fertig ist, so 2024/25, wird es zu einer Ausweitung des Angebots führen: Wir haben ein größeres Kleines Haus, ein saniertes Stadttheater mit Festsaal, einen zusätzlichen Kongresssaal. Das wird auch einem gewachsenen Ingolstadt wieder gerecht.



Aber entscheiden soll darüber erst der neue Stadtrat 2020.

Lösel: Vielleicht gelingt’s uns auch ein Quartal früher. Aber vier Jahre in die Zukunft zu schauen, ist auch für einen Oberbürgermeister schwierig.



Ein anderes Projekt wird zwangsläufig früher angegangen: Sie wollen dem Stadtrat am 3. Dezember Grundstücke für bis zu 2300 weitere Flüchtlinge vorstellen.

Lösel: Es handelt sich ausdrücklich um weitere Standortmöglichkeiten. Grundstücke zu haben, ist ja erst mal nicht schlecht. Wir müssen damit rechnen, dass uns 2016 weitere Flüchtlinge zugewiesen werden. Ob das für Erweiterungen der Aufnahme- und Rückführungseinrichtung in der Max-Immelmann-Kaserne ist oder dezentral, weiß ich nicht. Aber wir wollen nicht in die Situation kommen, dass wir in drei Monaten keine Lösung mehr haben.



Laut Ihrer Planung rechnen Sie damit, dass sich die Asylbewerberzahlen in Ingolstadt verdoppeln könnten.

Lösel: Ich möchte nur sicherstellen, dass wir in Ingolstadt nicht in einem halben Jahr dastehen und in Turnhallen einweisen müssen. Und ganz klar: Eine Zwangseinweisung und Zwangsbeschlagnahmungen von privatem Wohnraum wird es mit mir nicht geben. Es gibt andere Landkreise, die anders vorgehen.



Zum Beispiel direkt vor unserer Haustüre die Sporthalle in Gaimersheim.
Lösel: Da wurden wir nicht gefragt. Aber das liegt nicht auf unserer Flur, weiter sage ich dazu jetzt nichts mehr.



Nicht gefragt fühlten sich zuletzt auch einige ehrenamtliche Flüchtlingshelfer. Wie wollen Sie dieses zuletzt schwelende Thema lösen?

Lösel: Wir werden noch vor Weihnachten eine Gesprächsrunde einrichten, mit den Stadträten, damit sie informiert sind, und wir Anregungen, auch aus den Fraktionen, aufnehmen können. Und wir werden uns dann mit den Stadträten überlegen, wie wir uns im nächsten Frühjahr ab Januar möglicherweise neu aufstellen, gemeinsam mit der Regierung von Oberbayern, mit unseren Ämtern, mit den Ehrenamtlichen, in ganz vertrauensvoller und ruhiger Atmosphäre. Wenn man mal die Größe dieser Aufgabe sieht und im Vergleich dazu, was da manchmal an Problemen auftaucht, sind wir relativ gut aufgestellt.



Ein anderes Thema, bei dem es aber auch um eine große Aufgabe geht: den Wohnungsmarkt. Die Bürgergemeinschaft hat jetzt gefordert, angesichts des Wohnraummangels wie in München eine Zweckentfremdungssatzung einzuführen, die Eigentümer dazu bringen soll, ihren Besitz nicht leer stehen oder für andere Zwecke nutzen zu lassen. Warum wäre das denn keine Lösung für Ingolstadt?

Lösel: Weil ich nicht will, dass Ingolstädter Bürger in ihrem privaten Wohnraum durch Verwaltungsmitarbeiter kontrolliert werden. Ich will nicht Verwaltungskapazitäten binden, wo es rein mengenmäßig keinen Sinn macht. Und ich will nicht, dass der eine Nachbar sagt, der andere hat da noch Wohnraum, den er falsch nutzt. Der Stadtrat kann mich gerne eines anderen belehren, aber ich glaube nicht, dass er das machen wird.



In München hatte der Stadtrat aber keine Bedenken.
Lösel: Wir haben in Ingolstadt ja kaum leer stehenden Wohnraum, wir haben Wohnraummangel. In München finden übrigens innerhalb von sieben Jahren 140 000 Begutachtungen von Privatwohnungen durch Verwaltungsmitarbeiter statt. Wie viele Leerstände werden dabei ermittelt? 0,9 Prozent. Auf Ingolstadt heruntergerechnet wären das dann in sieben Jahren 100 Wohnungen. Und das heißt ja noch nicht, dass diese Wohnungen tatsächlich falsch genutzt werden. Ich setze die Verwaltungsmitarbeiter doch lieber dafür ein, dass noch mehr gebaut wird.



Dass weiter gebaut werden muss, ist sicher unstrittig. Die Stadt ist zuletzt innerhalb eines Jahres um 1900 Bürger gewachsen.

Lösel: Seit 2012 haben wir dementsprechend auch 25 Prozent mehr Geburten bekommen. Daraus ist einiges entstanden: ein eigenes Hochhausprogramm, neue Kitas, neue Schulbauten, neue Horte und eine neue Baulandpolitik: mehr Grundstücke und ein kooperativeres Grunderwerbsmodell – und mehr Sozialwohnungen.



Dass Sie dringend Grundstücke für Kindergärten suchen, haben Sie vor Kurzem schon bekannt gegeben. Von neuen Schulen war öffentlich bisher noch nicht die Rede. Was hat die Stadt geplant?

Lösel: Es ist relativ einfach zu sagen, ich habe 250 Kinder pro Jahr mehr, die geboren werden. Dann weiß ich, im ersten bis dritten Kindergartenjahr habe ich da und dort soundso viele Kinder mehr. Schwierig wird es nach der Grundschule mit den unterschiedlichen Schultypen. Da braucht man Abschätzungsmodelle. Und die macht gerade unser Schulreferent Gabriel Engert. Ganz klar: Es wird zu Schulneubauten kommen. Und wir werden an der einen oder anderen Stelle auch Ausweitungen brauchen.



Können Sie schon sagen, wie viele und wo?

Lösel: Kann ich Ihnen noch nicht sagen, weil es so komplex ist. Aber wir haben da ja – anders als bei den Kitas – noch Luft.



Es gibt einen Bereich, in dem die mögliche Bebauung besonders kontrovers diskutiert wird: den zweiten Grünring der Stadt.

Lösel: Die Firma Weinzierl hatte den zweiten Grünring im Februar 2013 strukturell untersucht. Da sind sechs Bauflächen fixiert worden, die aus Sicht der Fachplaner auch ausgewiesen werden können. Es gibt einen geltenden Beschluss des Stadtrats, der wie ein Bebauungsplan zu behandeln ist. Wir müssen Grünareale sichern und den Grünring wertschätzen, wir haben auf der anderen Seite aber die Notwendigkeit, Wohnraum zu schaffen. Das kann man durch intensivere Bebauung schaffen, aber auch durch neue Bebauung. Wo, das muss der Stadtrat entscheiden.



Wo sind da die Grenzen erreicht?
Lösel: Im letzten Stadtrat war eine Bebauung vor dem Kavalier Hepp eingezeichnet, da habe ich ganz klar gesagt, die wird nicht kommen. Aber zu sagen, man sichert alles als Grünring, das wird nicht gehen. Die Interessen sind ja gar nicht konträr: Die Leute wollen möglichst qualitativ wohnen, und dazu gehören auch entsprechend große Grünflächen, grüne Lungen und Parks. Es ist die Aufgabe des Stadtrates, das zu diskutieren.


Die Anwohner, die dort schon Wohnraum haben, haben sich auch schon in die Diskussion eingeschaltet.

Lösel: Die Anliegen der Bürger sind alle berechtigt. Es wird sicher eine Herkulesaufgabe werden. Aber ich drehe es mal um: Man zieht nicht in eine Stadt, die nicht attraktiv ist. Insofern können der Stadtrat und seine Vorgänger auch stolz darauf sein, mitgestaltet zu haben, dass die Leute heute gerne bei uns wohnen.



Zum Wachstum der Stadt gehört auch der Verkehr. Die Vorschläge des Verkehrsentwicklungsplans sind im jeweiligen Stadtteil nicht immer gut angekommen. Gibt es Grenzen der Bürgerbeteiligung?

Lösel: Nein, das ist Bürgerbeteiligung, und zwar eine der größten Bürgerbeteiligungen, die die Stadt Ingolstadt je erlebt hat. Zum Beispiel die Diskussion in Ober-/Unterhaunstadt: Im Osten von Oberhaunstadt wird es sicher keinen Autobahnanschluss geben. Von Bürgern kam aber der Vorschlag, dass man das weiter im Norden machen kann. Das muss man prüfen. Wir werden im März 2016 eine überarbeitete Version des gesamten Verkehrsentwicklungsplans vorlegen und das dann in eine politische Diskussion einbringen. Und dann muss irgendwann im nächsten Jahr der Stadtrat entscheiden.


Und mit der Region ist schon alles abgestimmt?

Lösel: Nein, das läuft ja parallel. Da wird’s sicher auch Diskussionen geben, die dann im Februar/März noch nicht beendet sein werden.



Es gibt auch kleinere Maßnahmen, die nicht zum Verkehrsentwicklungsplan gehören. Wann werden die in Angriff genommen, zum Beispiel die Schlosslände?

Lösel: Die Frage der Rechtsabbieger zur Westlichen Ringstraße, das kann man sicher relativ zeitnah machen, wenn es beschlossen würde. Wir kriegen ja eine Vielzahl an Vorschlägen von Ingolstädter Bürgern. Zum Beispiel hat man die Markierung der Straße für die Geradeausfahrer nach der Unterführung der Westlichen Ringstraße unter dem Luitpoldpark Richtung Süden verändert. Eine ganz kleine Maßnahme, die aber viel bewirkt hat: Jetzt fahren die Autos auf die linke Spur, auf der sich vorher keiner aufgestellt hat.



Und der Vorschlag der CSU, gleich auf dem tiefen Niveau zu bleiben und unter der Münchener Straße durchzufahren?

Lösel: Das wurde mit dem Verkehrsplan ja auch geprüft. Die Frage ist, ob man das angehen soll. Und das muss der Stadtrat im März entscheiden.



Die Stimmen, die eine vierspurige Westliche Ringstraße fordern, verstummen auch nicht.

Lösel: Das Problem ist nicht die Westliche Ringstraße, es sind die Abführungen an Brodmühlweg, Gerolfinger, Neuburger Straße und Friedhofstraße – das ist einfach ein Nadelöhr. Das zweite Nadelöhr ist kurz vor der Brücke und kurz danach. Dass die Leute so langsam fahren, hat was mit den Kreuzungssystemen im Norden und Süden zu tun. Ein Vorschlag der CSU war ja die Unterführung nach der Brücke. Wie gut so eine Unterführung funktioniert, sehen Sie jetzt an der Ettinger Straße – das ist wirklich traumhaft. Es freut mich immer, wenn was vorwärtsgeht.