„Ich akzeptiere deine Welt“

09.02.2012 | Stand 03.12.2020, 1:51 Uhr

Kinding (EK) Ihr Sohn ist gestorben, aber sie kann sich nicht erinnern. Sie kauft sich auf dem Markt eine Semmel, zehn Minuten später weiß sie es nicht mehr. Franziska Brömser ist seit etwa vier Jahren an Demenz erkrankt.

Wenn man den Flur des Schwarzachhauses in Kinding betritt, kommt man nicht auf die Idee, dass hier Menschen wohnen, die betreut werden müssen: Parkettboden, große Fenster und der Katzenbaum in der Ecke vermitteln dem Besucher das Gefühl, dass hier Menschen zu Hause sind. Am Esstisch sitzt Thomas Brömser mit seiner Frau Karin und beobachtet seine Tochter Hannah dabei, wie sie mit seiner Großmutter spielt. Die beiden halten sich an den Händen und lachen.

Die Entscheidung für das Schwarzachhaus hat Brömser getroffen, obwohl er in Ingolstadt wohnt und arbeitet: „Im Altersheim wäre sie nur eine Nummer“, sagt Brömser, hier habe sie ein Zuhause und könne selbst daran teilhaben. Ihm gefalle, dass sie körperlich fit bleibe. Trotz der Krankheit. Denn das Denkvermögen und die Erinnerung seiner Großmutter lassen immer mehr nach. An diesen Tatsachen lässt sich nicht arbeiten und auch eine Heilung gibt es für ihre Krankheit nicht. Das versucht auch niemand in der Wohngemeinschaft im Schwarzachhaus „Robert Betzwald“ in Kinding, in der sie mit vier anderen Demenzkranken wohnt. Rund um die Uhr werden die Bewohner betreut – von Alltagsbegleitern des Vereins Lebenshilfe am Tag und von ehrenamtlichen Helfern in der Nacht. Sie helfen ihr bei den täglichen Aufgaben des Lebens. So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Brömser schält Kartoffeln, putzt selbst ihr Zimmer und lebt ihre Tage so wie sie es möchte.
 
Wenn sie das Leitmotiv des Vereins Lebenshilfe beschreiben will, erzählt Geschäftsführerin Brita Wellnitz gern eine Anekdote. Einmal habe eine Mitarbeiterin ihre Strickjacke in der Wohngemeinschaft vergessen. Tage später tauchte sie wieder auf, im Zimmer von Franziska Brömser. Die erzählte der Betreuerin stolz, wie lange sie damals gebraucht habe, diese Jacke zu stricken. Leider sei sie ihr nun viel zu klein. So ein Zufall, genau so eine Jacke habe sie einmal besessen, und sie habe sie so gerne gemocht, schwärmte die Mitarbeiterin. Daraufhin habe Brömser ihr die Jacke geschenkt. Und das, so Wellnitz, sei das Motto der Arbeit im Schwarzachhaus: „Wir sagen: Ich akzeptiere deine Welt“. Niemals wäre einer der Betreuer auf die Idee gekommen, der Frau den Diebstahl der Jacke vorzuwerfen.
 
Von 6 bis 21 Uhr sind die Alltagsbegleiter bei den Senioren. Sie arbeiten alle in Teilzeit, denn das garantiere eine hohe Qualität der Betreuung, erklärt Wellnitz: „Manchmal ist es einfach anstrengend.“ Die Demenzkranken wüssten nicht, dass sie Geschichten permanent wiederholten. Der Alltagsbegleiter wisse es aber und müsse trotzdem jedes Mal so gut wie möglich auf diese Geschichte eingehen. Manchmal auch zur Sicherheit der Bewohner. „Ab und zu wollen sie einfach nach Hause gehen“, erzählt Wellnitz, denn das wolle jeder alte Mensch im Grunde, egal wie schön es in der neuen Umgebung sei. Dann müsse man vorsichtig das Thema umlenken, um zu verhindern, dass die Demenzkranken tatsächlich versuchen, nach Hause zu gehen. „Ich frage sie dann, was an ihrem Zuhause so schön ist oder erzähle von meinen eigenen Erfahrungen.“ Dann komme man ins Reden und der Gedanke an das Zuhause sei erst einmal gebannt.
 
Für die Zukunft hat Wellnitz noch weitere Pläne für das Schwarzachhaus. In dem Gebäude, in dem sie momentan die Büroarbeit für ihren Verein erledigt, stehen die restlichen Räume noch leer. Dort soll möglichst bald ein Seniorenzentrum entstehen, in dem die Senioren aus Kinding zusammen mit den Bewohnern der Wohngemeinschaft Zeit verbringen können. Die Umsetzung werde aber wahrscheinlichnoch eine Weile dauern.
 
Als Nächstes steht im Februar die erste Angehörigenversammlung der Wohngemeinschaft an. Bei den Treffen entscheiden die Angehörigen regelmäßig, wie das Leben in der Wohngemeinschaft gestaltet werden soll und wie sich jeder einbringen kann. Thomas Brömser findet das gut, denn er hat bereits eine Idee: „Ich werde ein gemeinsames Sommerfest anregen.“