Berlin
Hypothek für die Jugend

Der Ansturm auf die Rente mit 63 könnte teurer werden als gedacht

20.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:58 Uhr

Berlin (DK) Mehr als 163 000 Menschen haben die Rente mit 63 bis Ende Oktober beantragt. Das geht aus einer ersten Bilanz der Deutschen Rentenversicherung hervor, die bereits 110 000 Anträge bearbeitet und „fast ausnahmslos bewilligt“ hat.

Kommt jetzt nach dem Run auf den vorgezogenen Ruhestand die große Kostenlawine, vor der die Kritiker des Rentenpakets der schwarz-roten Koalition gewarnt hatten?

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schlägt Alarm und rechnet noch mit deutlich mehr Vorruheständlern und höheren Kosten: „Wie wir aus Betrieben hören, ist in den nächsten Jahren mit einer weiter steigenden Zahl der Anträge zu rechnen. Das führt nicht nur zu milliardenschweren Mehrbelastungen in der Rentenversicherung“, erklärte DIHK-Präsident Eric Schweitzer gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. Er warnte davor, dass sich der Fachkräftemangel noch weiter verschärfen werde.

Die Rentenversicherung geht von deutlich höheren Belastungen für die Rentenkasse aus als ursprünglich angenommen. Statt der ursprünglich kalkulierten 0,9 Milliarden Euro werde die neu eingeführte abschlagsfreie Rente mit 63 allein in diesem Jahr 1,5 Milliarden Euro kosten. 2015 wird mit drei statt 1,9 Milliarden Euro gerechnet.

Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wies gestern Kritik zurück, sie habe die Kosten der Reform zu niedrig angesetzt. Es gebe nur „geringfügig höhere Kosten. „Von einer Verdoppelung kann keine Rede sein.“ Der Anstieg in diesem und im nächsten Jahr sei auf „Vorzieheffekte“ zurückzuführen, erklärte ein Sprecher der Ministerin. Die Kosten dafür dürften sich auf rund hundert Millionen Euro pro Jahr belaufen, so die Prognose aus dem Arbeitsministerium. Im Gesetzentwurf seien die übrigen Kosten ausgewiesen und klar benannt worden. Zu den geplanten 900 Millionen für die Renten seien dies 250 Millionen Euro an Beitragsausfällen und 250 Millionen für freiwillig Versicherte, die während des parlamentarischen Verfahrens dazugekommen und auch benannt worden seien. „Wer jetzt von 1,5 Milliarden Euro Kosten für dieses Jahr im Vergleich zu im Gesetzentwurf ausgewiesenen 0,9 Milliarden Euro spricht, vergleicht Äpfel mit Birnen: nämlich die ursprünglich rein für Renten veranschlagten 0,9 Milliarden Euro mit den Kosten durch Renten und Beitragsausfälle“, so ein Sprecher des Ministeriums.

Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), nach denen in den kommenden Jahren jährlich 300 000 bis 450 000 Arbeitnehmer der geburtenstarken Jahrgänge 1952 bis 1963 Rente mit 63 beantragen könnten, ließ Arbeitsministerin Nahles zurückweisen: Dies sei „nicht nachvollziehbar“.

Die Wirtschaft beklagt nicht nur die hohen Kosten und die Belastungen für die Rentenversicherung, sondern fürchtet auch eine Verschärfung des Fachkräftemangels: „Fehlende Fachkräfte erweisen sich in den Betrieben oft als Wachstums- und Innovationsbremse. Die Rente mit 63 und das frühere Ausscheiden von Leistungsträgern verstärkt diese Problematik“, erklärte DIHK-Chef Schweitzer.