Ingolstadt
Huldigung und Revolutionsmusik

25.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:16 Uhr

Musizierten für Napoleon: Georgisches Kammerorchester, Philharmonischer Chor München und die Solisten Andrew Lepri Meyer, Magdalena Dijkstra und Agnes Preis. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Genau das wollte er auf jeden Fall verhindern: dass man seine dritte Sinfonie zu Ehren von Kaiser Napoleon aufführt. Dass man sie überhaupt in einen Zusammenhang setzt mit diesem so unrepublikanischen Herrscher.

Der freiheitsliebende Ludwig van Beethoven wird sich wegen des Konzerts des Georgischen Kammerorchesters im Rahmen der Ausstellung „Napoleon und Bayern“ wahrscheinlich im Grabe herumdrehen. Nicht umsonst hat er die Widmung an Napoleon zurückgezogen, als er erfuhr, dass der Franzose sich selbst zum Kaiser gekrönt hatte. Anders sieht das schon bei Simon Mayr (1763–1845) aus, dem anderen Komponisten, der im Mittelpunkt des Abends im Ingolstädter Festsaal steht. Seine Festkantate „Traiano all’Eufrate“ ist Musik gewordene Huldigung des Herrschers anlässlich dessen Namenstags am 15. August.

Aber das ist keineswegs der einzige Unterschied zwischen den beiden Werken (und auch der dritten Komposition an diesem Abend, der Ouvertüre zu „La Lodoiska“), die im Abstand von nur wenigen Jahren komponiert wurden: die Werke von Mayr 1799 und 1807, Beethovens „Eroica“ 1802/03. Die Stücke trennt Welten, so ungeheuer innovativ, so unglaublich einflussreich sie auch sein mögen. Mayrs Kantate bereitet bereits eine neue Epoche vor, die Romantik, Beethovens 3. Sinfonie vollendet ein Zeitalter, das der Klassik.

Wie geht Mayr mit dem Thema Napoleon um? Auf den ersten Blick konventionell. Er spiegelt Napoleons Heldentum in einer Geschichte aus der Antike – ein damals übliches Vorgehen. Trajan, der siegreiche Feldherr in der Schlacht am Euphrat, geht freundlich auf seine Feinde zu und verspricht ihnen Frieden. Ungewöhnlicher ist die musikalische Behandlung des Stoffs. Mayr vermeidet die Stilistik der Wiener Klassik, die ausufernde Motiv-Verarbeitung, die polyphonen Verästelungen, die scharfen Kontraste der Themen. Vielmehr setzt er auf einfache Effekte: die militanten Trommelwirbel am Anfang, das kriegerische Trompetensignal, das Schlachtgetümmel in den Streichern, das Gegenübertreten von Siegern und Besiegten im Doppelchor. Vor allem aber gewinnt er das Publikum mit einer italienisch anmutenden (immer noch an Haydn erinnernden) unterhaltsam-leichten Melodik und Rossinihaften Steigerungen.

Sebastian Tewinkel leitet das Georgische Kammerorchester und den eindrucksvoll massiv auftretenden Philharmonischen Chor München souverän. Einen vorzüglichen Eindruck hinterließen die drei Gesangssolisten: Agnes Preis mit ihrem hohen, alles überstrahlenden Sopran, Magdalena Dijkstra durch die Natürlichkeit ihrer technisch hervorragend geführten Stimme und Andrew Lepri Meyer durch das warme Timbre seines Tenors.

Nach dem leichtgewichtigen, kurzen und kurzweiligen Einstieg hätte der Kontrast zum Beethoven im zweiten Teil des Abends kaum größer sein können. Für das Kammerorchester bedeutete das nächste Stück den Übergang von nahezu völlig unbekannten Werken zu einem der bekanntesten Repertoire-Stücke mit schier unübersichtlich vielen Interpretationen. Tewinkel geht mit der Situation überraschend selbstsicher und eindrucksvoll um. So wie er die gewinnende, volkstümliche Melodik, den optimistischen Überschwang der Mayr-Kantate mit leichter Hand zelebriert, so wühlt er sich nun um so ernsthafter, leidenschaftlicher in die zerklüftete Motivarbeit, in die heroischen Orchestereruptionen der Ecksätze, die zermürbende Harmonik des Trauermarschs, das manische Streicher-Stakkato des Scherzos.

Tewinkel wählt einen überzeugenden Mittelweg zwischen der oft unterkühlten, analytischen und etwas hektischen Tonsprache der Originalklang-Ensembles und dem schwerfälligen Breitwandsound der traditionelleren Sinfonieorchester. Sein Beethoven bleibt schlank, ohne zu überhitzen, lässt sich Zeit für die großen Kontraste und Steigerungen und bleibt im Zeitmaß unerbittlich voranschreitend. Eine spannende Auslegung, eine feurige Revolutionsmusik, deren brutale Gewalt vor allem von den Bläsern ausgeht. Ein widerspenstiger musikalischer Stoff, sperrig, voller Fugen-Furor, vom GKO manchmal laut und kratzig wiedergegeben und dann wieder von traumschönen, weichen Klarinetten- und Oboenklängen unterbrochen. Was für ein wunderbarer symphonischer Wahnsinn! Keine Napoleon-Huldigung wie bei Mayr, sondern ein Schlachtengemälde des heroischen Revolutionskampfes. Begeisterter Beifall aus dem leider nur spärlich besetzten Festsaal.