Hoppla, was war das?

Die neue Intendanz der Münchner Kammerspiele gibt ihren Spielplan der Saison 2020/2021 bekannt - und hinterlässt viele Fragen

22.05.2020 | Stand 23.09.2023, 12:06 Uhr
Frieder Betz

München - Nie waren wir künstlicher als heute.

Wir fassen uns nicht mehr an, bleiben daheim, sogar wenn uns die Decke auf den Kopf fällt, und klicken, statt zu sprechen. In diese synthetische Welt passt die Bekanntgabe des neuen Spielplans der Kammerspiele, des ersten unter der designierten Intendantin Barbara Mundel via Avatar und Videoschalte. Wenn es auch traurig stimmte, die leeren Stühle des Jugendstiltheaters zu sehen, bot die technisch recht holprige Livekonferenz immerhin eine Perspektive: Da kommt wieder was! Aber wie soll es werden? Frau Mundel ist Musterschülerin. Was immer Stadtpolitiker erwarten von ihrem Sprechtheater der Hauptstadt, steht auf ihrem Programm: Jugendarbeit, Frauenförderung, Antirassismus, Demokratiestärkung, soziale Themen, Inklusion - jedes Mal vermerkt ihr Rotstift: "checked! ". War ihrem Vorgänger Matthias Lilienthal vom Münchner Stadtrat wenig elegant die Freundschaft gekündigt worden, scheint hier eine Theaterfrau alles richtig machen zu wollen.

Sie beruhigt Skeptiker mit Solidität und reicht Lilienthal gleichzeitig kollegial die Hand. Sie verbeugt sich vor Schickimicki-München mit einem Catwalk am Odeonsplatz (wenngleich man diesen in München bitte auf "E" betont, nicht auf "O"). Sie huldigt zugleich einer großen Ära mit "Gespenster" von Klaus Mann und geht dunklen Zeiten wie dem "Dritten Reich" oder dem Oktoberfest-Attentat nach. Sie holt Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen ins Ensemble, hält aber auch Publikumslieblingen wie Edgar Selge oder Wiebke Puls einen Platz an der Maximilianstraße frei. Sie erforscht die Grenzen der darstellenden Kunst mit dem Engagement eines Musikdramaturgen und eines 3-D-Grafikers. Sie vernetzt sich mit ortsansässigen Institutionen wie der Schauburg oder dem Einwanderer-Café "Bellevue de Monaco". Sie koproduziert mit Spielstätten des Ostblocks und, genau wie Lilienthal, der lokalen freien Szene. Dies alles und noch viel mehr - wenn nur nicht Corona wär!

Denn die Zeitumstände hinterlassen ihren schalen Nachgeschmack. Wenn Regisseur Falk Richter eine Premiere vorstellt, die nicht nur "Touch" heißt, sondern Tänzerinnen aus Italien, Schweden, der Türkei, Taiwan, dem Libanon, Ghana und Frankreich vereinen soll, dann fragt man sich dieser Tage: "Wie soll das gehen? " Ein Späti-Kiosk mit Veranstaltungen und Imbiss soll in der Theaterkasse eröffnen, wo sich derzeit maximal vier Menschen aufhalten dürfen?

Digitalisierung soll professionell vorangetrieben werden, wenn eine Theatermannschaft schon bei der Pressekonferenz sichtlich überfordert vom Umgang mit neuen Medien ist?

Antworten auf diese Fragen bleiben Mundel und ihre zahllosen, Wortblasen blubbernden Dramaturgen schuldig. Auch ein Spielzeitheft, dem man Namen, Termine, Funktionen entnehmen könnte oder - zeitgemäßer - eine Homepage vermisst man. Alles bleibt unbestimmt, Klassiker scheinen in der neuen Spielzeit verpönt. Aber was daran Konzept ist, was Probleme der Randbedingungen sind, bleibt unklar bei diesem Pressetermin ohne Presse.

Leider hat man ja schon manchen Intendanten (bei Frauen ist die Auswahl auch in München derzeit noch mager) erlebt, der nie dazu kam, die Versprechungen seiner Eröffnungskonferenz zu erfüllen. Aber schauen wir mal, dann sehen wir schon. Hoffentlich dann aber zumindest wieder vom Zuschauerraum aus!

DK


Frieder Betz