Eichstätt
Home-Office-Kolumne Teil 19

Der Gatte, der Teenager und Ich- CORONotizen aus der Kleinstadt

30.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:26 Uhr
  −Foto: Wein, Elisabeth, Pollenfeld/Preith

Eichstätt - Jede Lage, so ernst sie auch sein mag, wird leichter, wenn wir uns unseren Humor bewahren - gerade auch, wenn man plötzlich viel mehr Zeit mit der eigenen Familie verbringt, als man vielleicht jemals wollte. Deshalb erzählt Autorin Elisabeth Wein in unserer Kolumne "CORONotizen aus der Kleinstadt", wie eine Familie, bestehend aus Mutter, Vater und Teenager-Sohn, ihren Corona-Alltag meistert. Und auch wenn es diese Eichstätter Familie tatsächlich geben und sich durchaus ein wahrer Kern in den Begebenheiten finden sollte, sind sie doch alle frei erfunden. Sie wollen vor allem eines: Sie in dieser schwierigen Zeit zum Lachen bringen.

Der Teenager ist verschwunden. Zuerst ist es dem Gatten und mir gar nicht aufgefallen. Es ist ja durchaus üblich, dass das Kind tagsüber für mehrere Stunden in seiner Pubertisten-Höhle verschwindet, um dort bei zugezogenen Vorhängen seltsamen Ritualen nachzugehen. Betritt man sein Zimmer, bewegen einen feindselige Zischlaute zur sofortigen Umkehr.

Selbst wenn der Teenager uns mit seiner Anwesenheit im Wohnzimmer beehrt, kann er stundenlang regungslos vor dem Laptop verharren. Mittlerweile weist die Couch eine Negativ-Form des Kindes aus. Ich werde wohl eine Bronzebüste für den Garten daraus gießen, wenn es irgendwann wieder die Schule besuchen wird. Doch da sein Abschluss noch in weiter Ferne liegt, darf er auch die nächsten Wochen die Freuden des Home-Schooling und die ständige Anwesenheit seiner Eltern genießen.

Umso unverständlicher also, dass die Couch verwaist und der Teenager unauffindbar ist. Wir orten ihn mittels iPhone-Suchfunktion in einem nahe gelegenen Weizenfeld, in das er riesige Kornkreise tritt. Seine Botschaft an etwaige außerirdische Lebensformen lautet: "Die Erde ist furchtbar. Holt mich endlich aus dieser Hölle ab."

Der Gatte beschließt, dem Kind eine sinnvolle Aufgabe zu geben. Liebevoll legt er ihm den Arm um die Schultern und führt ihn ins Untergeschoss. "Sohn, das wird alles Dir gehören", spricht er mit reichlich Pathos und weist mit großer Geste auf die unendlichen Weiten unseres Kellers, "doch zuvor räumen wir gemeinsam auf". Der Teenager kann nur knapp vor einer Ohnmacht bewahrt werden.

Dazu muss man sagen, dass normale Menschen in ihrem Keller neben Lebensmitteln und der Weihnachtsdeko vielleicht noch ein bisschen Gerümpel sowie die Skiausrüstung lagern. Bei uns ist das anders. Meine Marmeladengläschen und Schrumpelkartoffeln nehmen nur einen Bruchteil unseres wirklich großen Kellers ein, der bis zur Decke vollgestopft ist mit des Gatten liebstem Hobby: Computer und Elektronik aller Art.

Die nächsten Tage also putzt der Teenager auf väterliches Geheiß hin mehrere Kilometer Kabel, poliert Scheinwerfer und sortiert Isolierband nach Breite, Farbe und Funktion. Da die Begeisterung zu wünschen übrig lässt, erfreut sein Vater ihn bei jedem prähistorischen Technikteil mit dessen genauer Entstehungs- und Nutzungsgeschichte. Dann drückt er es dem Kind in die Hand, damit er es in der Garage dem rasant anwachsenden Haufen Elektroschrott hinzufügt.

Leider driftet der Gatte etwas in die Vergangenheit ab. Liebevoll streichelt er über vergilbte Tastaturen, umarmt monströse PC-Bildschirme zum Abschied und spricht ehrfürchtig über die horrenden Preise, die das alles einmal gekostet hat.

Dabei verliert er den Teenager aus dem Blick, der schon wieder verschwindet. Dieses Mal finden wir ihn allerdings in der Garage. Anscheinend hat die Kornkreis-Nachricht ans All nicht gefruchtet, weshalb das Kind sich aus Elektroschrott nun ein eigenes Raumschiff zusammenschweißt. Sogar das Betriebssystem hat er schon installiert. Es läuft einwandfrei - mit Windows 98.

EK

(Fortsetzung folgt...)