Danzig
Hoffen auf die zweite Stimmungswelle

Enttäuschte polnische Fans verarbeiten das EM-Aus und schwenken in andere Lager über

20.06.2012 | Stand 03.12.2020, 1:22 Uhr

Gastwirt Renato hofft in Danzig nach der Abreise der irischen Fans auf neues Klientel. Um die gute Stimmung nach Polens Ausscheiden ist im nicht bange. „Polen lieben guten Fußball. Wer den zeigt, dem gehören die Sympathien“, sagt Renato - Foto: Stephan

Danzig (DK) Die Szenen aus Breslau zeigten das ganze Leid des Fußballs: Frauen und Männer, denen Tränen über das Gesicht liefen, weinende Kinder und fassungslose Fans, die ihr Gesicht tief in die Hände vergraben hatten: Polen ist raus. Das Turnier geht ohne die Männer mit dem roten Adler auf der Brust weiter.

Der Nacht der Trauer folgte die Ernüchterung im Gastgeberland der Euro 2012. Die rot-weißen Fahnen sind weitgehend von den Häuserfassaden verschwunden, die Autos fahren unbeflaggt. Das Ende der EM in Polen?

„Gebt uns ein paar Tage Zeit, dann stehen wir wieder auf“, sagt Anneta, die sich in ihrem Fanshop im Fancamp in Sopot langweilt. Die Iren, Spanier und Kroaten sind weg, die Deutschen und Griechen noch nicht da. „Schade“, sagt sie, aber das Ausscheiden der Polen sei keine Katastrophe. Die Euro habe für ihr Land eine viel größere Bedeutung: „Ihr habt doch alle geglaubt, Polen liege in Osteuropa“, sagt sie. Und scherzhaft fügt sie an: „Ehrlich, da haben sich doch sicher einige von Euch gewundert, dass wir Fernsehen haben.“ „Doch jetzt könnten alle sehen, dass Polen mitten in Europa liege: „Wir gehören dazu, das ist die wichtige Botschaft dieser Euro“, sagt sie. Oberflächlich betrachtet sei das schnelle Aus der Polen natürlich nicht gut für das Turnier, aber das sei ein Problem der Polen, nicht das Problem der Euro: „Wir werden auch weiterhin gute Gastgeber sein.“ Ob die Sympathien der Polen jetzt bei den Deutschen liegen? „Schon“, sagt Anneta, „aber noch mehr bei den Spaniern.“ Renato, der Chef vom Edel-Italiener „Tesero“ verrät mir später auch den Grund: „Viele Polen sind Fans des FC Barcelona, insofern unterstützen sie die Spanier“, sagt der 45-Jährige, der seit fünf Jahren das Ristorante betreibt, derzeit ein multi-kultureller Laden und Stammlokal der in Sopot wohnenden Journalisten. „50 Prozent“, sagt Renato auf die Frage nach dem Stimmungsabfall im Lande. Allerdings ist er sich sicher, dass die Begeisterung wieder mit den Viertelfinalspielen komme. „Die Polen lieben den guten Fußball, wer den spielt, kann auch mit ihren Sympathien rechnen.“ Und dann bittet Renato um eine Korrektur der öffentlichen Meinung: „Meine nettesten Gäste waren bisher die Iren.“ Nie eine Reklamation, viele Komplimente. Allenfalls, dass die nicht vor zwei Uhr Morgens aus dem Lokal zu bekommen waren, sei anzumerken. Aber auch das habe sich für ihn gelohnt.

Mariusz ist auch Wirt, gleich nebenan in einer der zahlreichen Strandkneipen in Sopot. Eigentlich will er zum Abschneiden der Polen nichts sagen. Das sei ein trauriges Kapitel, alle hätten daran mitgewirkt, der Verbandspräsident, der Trainer, die Spieler. Jetzt liege alles in Trümmern. Schon die Bilanz 2008 sei ernüchternd gewesen, aber dieses Mal habe das Drama im eigenen Land stattgefunden: „Das schmerzt ganz besonders.“ Polen habe nicht einmal mehr einen Nationaltrainer. Dennoch hat er die Nationalflagge in seiner Strandbude nicht eingerollt. „Wir sind stolz, Gastgeber zu sein.“ Marta, eine junge Studentin, hat zwar am Sonnabend nach dem Ausscheiden auch geweint, aber danach schnell wieder die Fassung gefunden, sagt sie, denn am Ende müsse sich jeder im Lande eingestehen: „Wer in einer Gruppe mit Tschechien, Griechenland und Russland nicht weiterkommt, der hat es letztlich auch nicht verdient.“ Die Aufbruchstimmung, die die neue Generation um die Nationalhelden Robert Lewandowski und Jakub Blaszczykowski verbreiten sollte, sei so schnell gestorben, wie der große Traum nach einem Erfolg im Fußball.

Doch auch Marta sieht in dem Turnier die große Chance ihres Landes: „Wir junge Polen wissen, dass es wichtig ist, uns als gute Europäer zu präsentieren.“ Wenn dies gelinge, sei das wichtiger für ihr Land, als ein paar Tore im Fußball. „Wir sind Gastgeber, also lassen wir unseren Gästen den Vortritt.“