Salzburg
Höllischer Spaß in der Unterwelt

Barrie Kosky inszeniert bei den Salzburger Festspielen einen turbulenten "Orphée aux enfers"

16.08.2019 | Stand 23.09.2023, 8:13 Uhr
Wildes Werben um Eurydice (Kathryn Lewek): Marcel Beekman umgarnt als Pluton und Aristée die Schöne. Max Hopp ist als alles im Hintergrund kommentierender Fährmann des Todes John Styx aber der Star der Inszenierung von Jacques Offenbachs "Orphée aux enfers" in Salzburg. −Foto: SF/Monika Rittershaus

Salzburg (DK) "Man kann sie nicht hören, ohne zu lächeln", sagt Barrie Kosky über Jacques Offenbachs Musik.

Für die Salzburger Festspiele hat er aktuell eine Neuinszenierung von "Orphée aux enfers" herausgebracht, deren Premiere es am Mittwochnachmittag gleich in doppelter Hinsicht gab: Dauerte es doch unglaubliche 99 Festspieljahre, bis die vergnügliche "Opéra-bouffon" auf die Salzburger Bühne gefunden hat. Grund ist 2019 der 200. Geburtstag von Jacques Offenbach, der an den Opernhäusern erstaunlich wenig Nachhall findet. Umso wichtiger ist diese Festspiel-Premiere, eine Co-Produktion unter anderem mit Koskys Komischer Oper Berlin. Von hier aus macht der Regisseur seit geraumer Zeit mit ebenso gewitzten wie schrillen, aber stets durchdachten Operetten-Inszenierungen von sich reden und aufs oft vernachlässigte Genre aufmerksam.

Jetzt war er gemeinsam mit Bühnenbildner Rufus Didwiszus und Kostümbilderin Victoria Behr in Salzburg höchst kreativ - mit großer Hochachtung vor Offenbach. Immer wieder blitzt Aktuelles auf, etwa wenn der höllische Rausch in der Unterwelt frech und frivol mit den Geschlechtern spielt und sie schnell mal wechselt. Dennoch: "Bei Offenbach ist es wichtig, dass man nicht jeden Subtext ausspielt", meint Barrie Kosky im Programmheft-Interview: "Wenn man den Subtext zum Haupttext macht, geht der Reiz verloren und man verrät Offenbach".

Soviel Achtung vor dem Werk? Warum nicht: Bietet Offenbach doch selbst genug für eine frivol-unterhaltsame Aufführung: Seine durchwegs hemmungslose Umdeutung des antiken Orpheus-Mythos lässt keinen Stein auf dem anderen. Eurydike ist genervt vom selbstverliebten, dauerfiedelnden Orpheus und betrügt ihn mit einem Schäfer, der sich als Unterweltgott Pluto entpuppt. Orpheus selbst läuft seiner verstorbenen Gattin nur in die Hölle nach, weil die öffentliche Meinung ihm mit Imageverlust droht. Auch Claudio Monteverdi und Christoph Willibald Gluck mit ihren früheren Opern-Fassungen des Mythos bekommen ihr Fett ab und werden nach Herzenslust zitiert. Dass Offenbach seinerzeit der verkommenen Pariser Gesellschaft den Spiegel vorhielt, ist klar - ein Effekt, der auch heute noch mühelos funktioniert.

Vor Beginn tritt bei Kosky mit Anne Sophie von Otter eine Grand Dame der Oper vor den Glitzervorhang: Schwarz gewandet wie eine Pfarrersfrau. Mit mahnenden Worten vor Moralverlust in ihrer Muttersprache, Schwedisch, die simultan übersetzt werden. Vor dem zweiten Aufzug singt sie im üppigen Regenbogengewand eine Barcarole über das kaum bekannte Ufer der Treue im Land der Liebe. Zwei wunderbare Höhepunkte dieser Premiere.

Dessen Star ist dennoch ein anderer: Max Hopp. Sein Name ist Styx. John Styx, der Fährmann des Todes. Kosky hat die (geniale) Idee, ihm alle Dialoge in den Mund zu legen, die Protagonisten bewegen dazu nur die Lippen. Hopp verleiht aber nicht nur allen Figuren ihre ureigene Sprache, sondern unterstützt ihr Tun auch lautmalerisch. "Klack, klack, quiiiietsch, boing". Das gibt dem Stück eine comichafte Dimension, ist hoch virtuos und unglaublich gut gesprochen. Gesungen wird auf Französisch - der Tod spricht deutsch und ist als Übersetzer allgegenwärtig, wie der Rausch stets auch die Melancholie in sich trägt. Wenn Hopp dann noch mit sympathischem Understatement von seiner Vergangenheit als "Prinz von Arkadien" singt und schluchzt, ist klar: Das ist großes Theater.

Rundherum gibt es prall-bunte Operette mit pfiffigen Ideen, die wie immer bei Kosky auf den Punkt inszeniert sind. Bienentanz, schlaksige Teufelchen und Höllen-Cancan (Choreografie: Otto Pichler) bieten mit bunten Kostümen und üppigen Bühnenbildern die Folie für Eurydikes emanzipierte Reise in die Unterwelt. Zu ihrer finalen Entscheidung "Ich will Bacchantin bleiben", räumt Kosky schlussendlich die Bühne ab und lässt nur die nackte Leidenschaft auf der Bühne zurück. Dazwischen geht es schrill und tabulos zu. Chanson, Revue, Burlesque, Slapstick, Klamauk, Clowning - all das stecke in diesem Stück, meint Kosky und stellt es bunt und rasant auf die Bühne.

Kathryn Leweks Eurydike ist ein draller, durchaus ordinärer Wirbelwind in Corsage und Negligée, die aus ihrer Lust am Sex keinen Hehl macht - und dabei in erotische Koloraturen unglaublich mühelos glitzernde Spitzentöne einstreut. Das macht nicht nur Pluto (Marcel Beekmann, extrem wandlungsfähig zwischen Frau und Mann, zwischen Falsett und Tenor) gehörig an, sondern auch Jupiter. Martin Winkler darf sich als Fliege mit Eurydike in allen Lagen vereinen und ist damit beinahe überfordert. Allerdings nie stimmlich, denn da zieht der Göttervater alle Register. Mehr als der etwas zurückhaltende Latin Lover Orpheus (Joel Prieto). Dennoch: Hier wie auch bei den vielen Götterstimmen sind große eigene Stimmprofile gar nicht entscheidend - enden doch Koloraturen oft im Lachen, werden Phrasen nicht ausgesungen, kommt es mehr auf die Gesamtwirkung an.

Und aufs Dirigat: Enrique Mazzola hat sich in der Vorbereitung viel mit kritischen Editionen der Partitur auseinandergesetzt, sodass die in Salzburg gezeigte Version alle Fassungen widerspiegelt. Sein Umgang mit Offenbach ist ebenso ungewöhnlich wie spannend, erliegt er doch nicht der Versuchung, hier Effekthascherei zu betreiben, sondern musiziert ganz viele Details in ganz unterschiedlichen, häufig extremen Tempi. Oft leise und feinsinnig, immer federnd und brillant - unterstützt durch die sehr kammermusikalisch agierenden Wiener Philharmoniker. Ein prickelnd-leichter Offenbach, der stets punktgenau mit der Bühne zusammen passt. Langer Beifall für eine höllisch gute Produktion.

Die Aufführungstermine am 21., 23., 26. und 30. August sind ausverkauft.

Barbara Angerer-Winterstetter