München
Hitziger Marathon

In stundenlangen Debatten zum Integrationsgesetz gehen sich CSU und Opposition scharf an

08.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:56 Uhr

München (DK) Mit hitzigen Wortgefechten hat im Landtag die Marathonsitzung zum umstrittenen Integrationsgesetz begonnen. Von den tiefsten Verwerfungen der vergangenen Jahrzehnte war die Rede. Ein Debattenende war gestern Abend noch nicht absehbar.

Um 15.56 Uhr droht die Situation erstmals zu eskalieren. Landtagsvizepräsidentin Ulrike Gote (Grüne) versucht mehrfach, SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher das Wort zu erteilen und wird dabei von der CSU-Fraktion niedergeschrien. Sitzungsunterbrechung, Tagung des Ältestenrates. Nach rund einer Stunde wird die Marathonsitzung zum Integrationsgesetz fortgesetzt. Entzündet hatte sich der Streit an Rinderspachers Kritik, dass sich Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU) nicht in die Debatte um die Präambel des Entwurfs eingeschaltet hatte, aus dessen Feder „das schlechteste Gesetz seit Jahrzehnten“ stamme. „Sie verweigern die Aussage!“, ruft Rinderspacher Huber entgegen und wird ebenfalls niedergebrüllt.

Dass es bei der Beratung des Integrationsgesetzes hoch hergehen wird, ist von der ersten Sekunde an klar. Der erste Redner, CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer, muss wütende Zwischenrufe aus der Opposition über sich ergehen lassen, als er den Begriff Leitkultur verteidigt, indem er vor Antisemitismus unter Flüchtlingskindern warnt. Wenn Kinder im Unterricht Lieder nicht mitsängen, weil darin das Wort „Schalom“ vorkomme, reiche ein Verweis auf das Grundgesetz einfach nicht aus, sagt Kreuzer.

Die Grünen werfen Kreuzer vor, Integration sei ihm eigentlich egal. „Ihnen geht es um etwas anderes. Nämlich die Frage: Wie verhindern wir den drohenden Verlust der absoluten Mehrheit?“, sagt Fraktionschefin Margarete Bause und spricht von einem Spaltungsgesetz „mit einer vergifteten Sprache, zusammengebraut in der Giftküche der Staatskanzlei“. Unter anderem wirft sie der CSU „schleichende Gleichschaltung“ vor, weil sie die Presse auf die Vermittlung der Leitkultur verpflichten wolle.

Auch Rinderspacher wirft der CSU „einen harten Angriff auf die Pressefreiheit“ vor. „Das war ein Tiefpunkt der politischen Kultur in diesem Hohen Haus“, sagt er in Richtung Kreuzer, der sich mit Angriffen auf die Presse zum Helfer von AfD und NPD mache. Die Regierung wende sich mit ihrem Gesetz gegen die Vielfalt. „Mia san ned nur mia!“, sagt der SPD-Fraktionschef und erinnert daran, dass der Entwurf von zahlreichen Organisationen aus der Wirtschaft, dem Sozialbereich und den Kirchen abgelehnt werde.

Um Mäßigung bemühen sich einzig die Freien Wähler. So fordert deren integrationspolitischer Sprecher Hans Jürgen Fahn mehr finanzielle Sicherheit für die Kommunen und einen Neustart. Zunächst sollten die Ergebnisse der kürzlich eingesetzten Enquetekommission Integration abgewartet werden. Das Gremium werde durch das Gesetz ad absurdum geführt. Die CSU, kritisiert er, habe die interfraktionellen Gespräche über ein Integrationsgesetz schon nach einem Treffen grundlos abgebrochen.

Wie lange sich die Debatte, die um 13 Uhr begonnen hatte, in die Nacht ziehen würde, ist am Abend noch unklar. SPD und Grüne ziehen aus Protest alle parlamentarischen Register, um die Verabschiedung mit einem sogenannten Filibuster möglichst lange hinauszuzögern. Nach der Generaldebatte werden die Präambel und alle 17 Artikel des Gesetzes einzeln debattiert. Hinzu kommen Änderungsanträge und eine beantragte dritte Lesung.

Was CSU-Fraktionschef Kreuzer von dem Verfahren hält, macht er sehr deutlich: „Eigentlich ist für ein solches Medienspektakel der Landtag zu schade“, erklärt er. Auch FW-Chef Hubert Aiwanger findet: „Wir erweisen der Demokratie einen Bärendienst.“ Die ideologischen Grabenkämpfe zwischen Rot-Grün und CSU gingen an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei. SPD und Grüne halten die langen Debatten dagegen für nötig. Es handle sich schließlich um die größten Meinungsverschiedenheiten seit Jahrzehnten.

Die Regierung will das Verfahren nicht in die Länge ziehen und verzichtet weitgehend auf Redebeiträge. Einzig Sozialministerin Emilia Müller (CSU) verteidigt den Entwurf. Es gebe kein einseitiges Fördergesetz, Integration müsse eingefordert werden. „Wo keine Integrationsbereitschaft besteht, müssen Sanktionen greifen“, sagt sie. Nach einer zweiten Unterbrechung, die auf Zwischenrufe aus der CSU zurückgeht, hat die Regierungspartei um 22 Uhr die Nase voll. Seine Partei werde sich nun nicht mehr äußern, erklärt Kreuzer. Rinderspacher wirft ihm daraufhin Arbeitsverweigerung vor.