Neuburg
Historisch, hintergründig und humorvoll

Die Tanzrevue "Als Frauen ihre Korsetts in die Donau warfen" überzeugt das Neuburger Publikum

28.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:48 Uhr
  −Foto: Hammerl, Andrea, Karlshuld(Grasheim)

Neuburg (DK) Was heute selbstverständlich ist, war vor 90 Jahren eine Sensation, um nicht zu sagen, ein Skandal. Rund um das erste bayerische Kreis-Frauenturnfest in Neuburg hat Tanzschulleiterin Angela Kockers die begeisternde Tanzrevue "Als Frauen ihre Korsetts in die Donau warfen" choreografiert.

Eine temporeiche, unterhaltsame und lehrreiche Geschichtsstunde, verpackt in zwölf Szenen, getanzt von rund 60 Eleven der Städtischen Schule für Tanztheater Neuburg und unterlegt mit mitreißender Musik von Sergej Berinskij, Frédéric Chopin, Claude Debussy, John Kander, Guillermo Lago, Eric Satie und Johann Strauss. Leichtfüßig schweben "Les Sylphides" (Felice Esterhammer, Fiona Esterhammer, Millain Fix, Luisa Hermanns, Sabrina Hopfenmüller, Cassandra Huß, Barbara Müller, Kassandra Opitz, Sophia Otte, Antonia Roßkopf) übers Parkett, umgarnen Marcus Ruf und wirken selbstlos voll auf den Mann in ihrer Mitte konzentriert. So langsam aber entwickeln Frauen ihr eigenes Selbstbewusstsein, wollen Sport treiben oder selbst künstlerisch tätig werden. Auch die Bräute sind nicht nur darauf aus, sittsam "Ja" zu sagen wie im Text von Irma aus dem Jahr 1926, die sich "ein Biedermeierzimmer, ein schönes Nachthemd und einen Pelzmantel" wünschte und alles von ihrem Mann bekam, "weil ich warten konnte". Kockers Bräute (Veronika Brüll, Fiona Ettenreich, Luisa Hermanns, Sophie Kreitmeier, Hannah Leitenstern, Amelie Munker, Johanna Reitwießner, Susanna Ruf, Lea Rohleder) sind in ihren unterschiedlichen Brautkleidern schon weit mehr eigene Individuen, ganz besonders, wenn sie den Mund aufmachen und "Ja" sagen, keck die eine, schüchtern die nächste, verträumt, unsicher, patzig oder genervt die übrigen.

Zum Mitschwingen der Strauss-Walzer "An der schönen blauen Donau", zu dem Franziska di Maria, Helena Hillebrand, Aylin Müller, Livia Modlmeier, Lea Niggemeyer, Lisa Rapp, Marie-Sophie Rapp, Sophia Schläfer, Nathalie Schwensfeier, Jennifer Weck und Linda Werner weiß-blaue Fahnen schwenken und auf das Turnfest einstimmen. Das ruft die Jüngsten auf den Plan. Emma Appel, Kalina Cooper, Hana Hodzic, Carolin Jande, Franziska Klein, Emma Munker, Marie Neumaier, Emma Reitwießner, Hannah Rothe, Simon Schleer und Anna Wunderlich turnen fleißig, hüpfen, üben sich im Bockspringen, schwimmen auf Stühlen und entsorgen endlich die titelgebenden Korsetts in die Donau. Ein Wiedersehen mit der Truppe samt Puppen, Teddys, Würfel, Bällen und Hulahoop-Reifen gibt es später "Im Kinderzimmer".

Ganz sicher zu den Höhepunkten im Programm zählt der frech-frivole Song "Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt", herrlich pantomimisch vorgetragen vom Hahn im Korb, gespielt von Hanna Ettenreich, während Katharina Degmayr, Theresa Deufel, Felice Esterhammer, Fiona Esterhammer, Katharina Firl, Emily Jungbauer, Amelie Prell, Anna Rapp, Antonia Roßkopf, Anna Weidner und Maria-Magdalena Weingärtner ihre dritten (Schaufensterpuppen)beine schwingen. Noch einmal ist die Gruppe zu genießen - mit einem fetzigen "Charleston". Klara Köhlein ist als braves Kind zu sehen, das so gar nichts mit jenen Künstlerinnen gemein hat, die in "Tango" und "Künstlerinnen" zu Wort kommen. Elisabeth Agricola, Helena Beck, Theresa Foschum, Eva Heindl, Isabell Mayer, Magdalena Nagl, Marcus Ruf und Sarah Schönfelder versetzen in die Welt jener Frauen, die Vorreiter für die Emanzipation waren - in Wort, Bild, Mode, Choreografie und politischem Einsatz. Frauen wie Modeschöpferin Coco Chanel, Choreografin Martha Graham, Malerin Frida Kahlo oder die Journalistin Annemarie Schwarzenbach: Frauen, die sich dagegen wehrten, "in Turnen und Tanz die Linie einzuhalten, die du deiner katholischen Überzeugung schuldig bist". Wunderbares Tanztheater - mit Schwung und Humor auf die Bühne gebracht, witzig, spritzig, informativ, hintergründig und es wert, sich Gedanken über die Errungenschaften zu machen, die Frauen vor rund 100 Jahren durchsetzten, die aber heute wieder in Gefahr scheinen.

Andrea Hammerl