Pfaffenhofen
Hintergründe des Nichtangriffspaktes

Freunde von Valjevo: Stefan Bollinger erörtert den Beginn des Zweiten Weltkrieges

19.09.2019 | Stand 02.12.2020, 13:02 Uhr

Pfaffenhofen (PK) Mit dem Überfall auf Polen vor 80 Jahren begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg.

Über die Vorgeschichte und Ursachen sprach am vergangenen Samstag der Historiker Stefan Bollinger vor knapp 25 Zuhörern im Hofbergsaal. Eingeladen hatte zu diesem Termin der Verein Freundschaft mit Valjevo.

Der Zweite Weltkrieg, so Bollinger, sei ein gemeinsames Projekt von Konzernherren, Militärs, Spitzen der Verwaltung und rechten Politikern gewesen, die nicht bereit waren, das Ergebnis der Niederlage im Ersten Weltkrieg hinzunehmen. Schon 1919, so der Referent, hätte der Chef der Heeresleitung von Seeckt den Aufbau der Reichswehr als Kaderarmee geplant, damit sie bei Bedarf auf 100 Divisionen vergrößert und von eben diesen Kadern geführt werden konnte. Die Industrie habe mit Drittstaaten Vereinbarungen getroffen, die es ihr bereits während der Weimarer Republik ermöglichten, im Ausland verbotene moderne Waffen zu entwickeln und zu produzieren. Spitzenvertreter der deutschen Industrie wie Carl Duisberg verlangten für ihre Expansion einen "geschlossenen Wirtschaftsblocks von Bordeaux bis Odessa", so Bollinger, sei es über den Weg der wirtschaftliche Durchdringung Ost- und Südosteuropas, sei es auf militärischen Weg. Letztere Vorstellung habe sich mit Regierungsübernahme Hitlers Ende Januar 1933 durchgesetzt.

Bereits in seiner Rede am 3. Februar 1933 habe Hitler vor seinen Generälen als sein Ziel die "Wiederherstellung der politischen Macht" verkündet, um "gewaltsam Absatzgebiete für unsere Produktion" und "neuen Lebensraum für die überzähligen Menschen" zu bekommen, rekapitulierte der Historiker. Hitlers Politik der Wiederaufrüstung und Kriegspolitik seien Großbritanniens, Frankreich und USA nicht entgegengetreten. Sie wollten das deutsche Expansionsstreben vielmehr gegen die Sowjetunion lenken, in der sie die Hauptgefahr für ihre eigene Gesellschaftsordnung sahen. Deshalb hätten sie, so Bollinger, die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland 1935, die Einrichtung einer Luftwaffe, die Besetzung des entmilitarisierten Rheinlandes 1936, den Einmarsch in Österreich 1938, die Zerstückelung und Liquidierung der Tschechoslowakei widerstandslos hingenommen und damit der Reichswehr den Weg nach Osten frei gemacht. Der Zweite Weltkrieg sei ein Vernichtungskrieg gegen die "unwerten Rassen" der Juden und Slawen, gegen den Kommunismus und für die Expansion der deutschen Wirtschaft gewesen. "Heute kämpfen wir um Ölfelder, Gummi, Erdschätze und so weiter", so Hitler im November 1939 vor seinen Oberbefehlshabern.

Wie aber kam es zu dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom 23. August 1939? Die Weisung für den deutschen Überfall auf Polen datiert vom 3. April 1939. Seinen "Entschluss, bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen", hatte Hitler am 23.Mai 1939 der deutschen Führung verkündet. Im Sommer 1939, so der Referent, fürchtete die Sowjetunion in einen Zweifrontenkrieg zu geraten. In dieser Situation stimmte die sowjetische Führung dem deutschen Angebot eines Nichtangriffsvertrages zu. In dem geheimen Zusatzabkommen ließ sie sich Gebiete Osteuropa, darunter Ostpolen, als eigene Interessenssphäre zusichern und besetzte sie später. Damit gewann sie einen territorialen "Puffer" und zwei Jahre Zeit, sich auf den deutschen Angriff vorzubereiten, so der Historiker. Große Teile der Bevölkerung in Polen und im Baltikum aber haben ihr diesen Völkerrechtsbruch, so Bollinger, bis heute nicht verziehen.

Für seinen faktenreichen Vortrag, bei dem er vor Aufrüstung und einer erneuten militärischen Konfrontation mit Russland warnte, erhielt er viel Beifall.