Hindernisse gibt es nicht

19.05.2010 | Stand 03.12.2020, 4:00 Uhr

Ansatz zum Sprung auf die andere Seite des Brunnens. Daniel Kielmann (links) und Marius Meister trainieren an der Münchner Freiheit. - Foto: Zick

München (DK) Draußen regnet es in Strömen. Für Freiluftsport ist das eigentlich kein geeigneter Tag. Doch mit einem Satz wischt Daniel Kielmann alle Zweifel beiseite: "Wir trainieren bei jedem Wetter", antwortet er auf die bange Frage nach einem Ausweichtermin.

Kielmann ist Traceur, sein Sport Parkour. Laut Definition ist das die "Kunst der effizienten Fortbewegung". Möglichst direkt geht es über Mauern, Gräben und andere Hindernisse hinweg, allein mit Körperkraft, ohne jegliche Hilfsmittel. Und bei allen Wetterbedingungen versteht sich. Ein bisschen Regen ist also kein Grund, zu Hause zu bleiben.

So steht Kielmann nun also an der Münchner Freiheit an der Kante einer Brunnenanlage. Vor ihm geht es fast drei Meter nach unten, von dort ist es etwa genauso weit bis zum Rand des Brunnens. Der Traceur holt mit den Armen Schwung. Dann: Sprung, Landung, Abrollen. Alles geht gut. Kielmann war 25 Jahre lang Kunstturner, samt Titeln und Europameisterschaften. Er weiß, was er da tut. Doch wegen genau solcher spektakulären Übungen ist Parkour als waghalsig verschrien, als Sport für Draufgänger. In der Szene hört man das äußerst ungern.

Für Medienvertreter hielt die "Parkour-Community München" früher deshalb sogar mal eine Liste mit verpönten Ausdrücken bereit. Worte wie "Extremsport", "Spiderman" oder "Adrenalinkick" wollte keiner der Traceure lesen, weil es nicht der Philosophie ihres Sports entspricht.

Parkour sei keine Show, sagt Kielmann. Es werde nicht über Häuserschluchten gesprungen, wie es in Filmen und Werbespots gelegentlich dargestellt wird. "Wer mit solchen Erwartungen zum Parkour geht, wird sich unweigerlich übernehmen und sich böse verletzen."

Beim Parkour geht es darum, sich selbst richtig einzuschätzen, sich zwar alles abzuverlangen, aber nie über die eigenen Grenzen hinauszugehen. Und es geht darum, gesund zu bleiben, sich fit zu halten, "um nützlich zu sein." So hat es der Franzose David Belle mal formuliert, der als Erfinder von Parkour gilt. Der Legende nach war Belles Vater Vietnamsoldat. Von seinen Einsätzen hat er Fluchttechniken mitgebracht, die seinen Sohn faszinierten. Und was der Vater in den Mangrovensümpfen und Tropenwäldern Südostasiens praktiziert hatte, übertrug David Belle mit seinen Freunden Ende der Achtziger Jahre auf die urbane Landschaft des Pariser Vorortes Lisses, einem Ghetto aus Stahl und Beton.

Seitdem hat der Sport in immer mehr Städten Anhänger gefunden. In München ging es vor etwa sechs Jahren richtig los. Heute trainieren dort an die 40 Traceure regelmäßig. An den Einführungskursen, die "Parkour-München" einmal monatlich anbietet, haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren sogar ungefähr 1600 Leute teilgenommen.

Beim Parkour entwickle man einfach ein interessantes Körpergefühl, sagt Marius Meister, der gerade einen großen Poller erklommen hat. Bis zum nächsten Steinpfosten sind es gut und gerne zweieinhalb Meter. Oder neun Schuhlängen, wie Meister ausgemessen hat. Er springt. Und landet problemlos. Diese Weite hat er sicher drauf. Viele Schuhlängen mehr dürfen es aber nicht sein, so gut hat er sich in seiner Zeit als Traceur schon einzuschätzen gelernt.