Eichstätt
Hinaus in die fremde Welt

Von einem Schüleraustausch nach Paris zehrt Mutter Franziska Kloos noch heute – "Mein erster Urlaub alleine"

09.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:16 Uhr

Mutter Franziska mit dem Umschlag eines Briefes, den ihr ihre Mutter einst nach Paris geschrieben hat. Der Umschlag ist neben einem Passbild das einzige Erinnerungsstück an den Schüleraustausch nach Paris. Fotografien hat Mutter Franziska nicht mehr; und auch der Brief selbst existiert nicht mehr. Ihre Erinnerungen an diese Wochen sind jedoch noch sehr frisch - Foto: baj

Eichstätt (EK) Ferienzeit – Urlaubszeit. Eine Fahrt in den Süden gehört für viele Familien dazu. Selbst eine Flugreise in exotische Länder ist heute nichts Außergewöhnliches mehr. Für die junge Aloisia Kloos, die heutige Mutter Franziska, Äbtissin von St. Walburg, wäre das undenkbar gewesen.

„Urlaub gab’s nicht. Und schon gar nicht weg vom Elternhaus“, erinnert sich die Äbtissin zum Abschluss unserer kleinen Sommerserie „Mein erster Urlaub alleine“ an ihre Kindheit und Jugendzeit auf dem Dorf. Eine Ausnahme aber gab es doch: Als 17-Jährige durfte sie an einem Schüleraustausch teilnehmen, der in die Weltstadt Paris führte. Diese drei Wochen hallen bis heute nach.

Aloisia Kloos wurde 1941 in Altmannshofen im Allgäu geboren. Ihre Eltern hatten einen Bauernhof und da musste jeder mit anpacken. „Manchmal, wenn ich von der Schule kam, habe ich zu Hause einen Zettel vorgefunden“, erinnert sich Mutter Franziska. „Wir sind auf dem Feld. Komm bitte möglichst schnell nach“, sei darauf zu lesen gewesen. Die harte Arbeit war jedoch nur ein Teil des täglichen Lebens. Das dörfliche Leben war intakt. Die Jugend heckte den ein oder anderen Streich aus. Oder es wurde Theater gespielt. „Die Dorfjugend hatte sehr kreative Ideen“, erzählt Mutter Franziska. „Die Buben haben manchmal jemand geärgert. Einmal haben sie bei einer Nachbarin gelbe Dahlien gemopst, damit ihre Fahrräder geschmückt und sind durchs Dorf gefahren. Das war zum Wimmern.“ Die Bänke und Plätze im Ort seien belebt gewesen. „Der Bedarf für Urlaub war einfach nicht da, abgesehen davon, dass es kein Geld gab.“

Aloisia Kloos besuchte das Gymnasium im 30 Kilometer entfernten Wangen. Ihre Mutter dachte fortschrittlich und versuchte allen ihren sechs Kindern eine gute Bildung und Ausbildung zu ermöglichen. Drei von ihnen besuchten ein Gymnasium. „Das war zur damaligen Zeit etwas Besonderes“, betont die Äbtissin. Erste Fremdsprache war Französisch. Wangen gehörte zur französischen Besatzungszone und die Lehrer setzten sich sehr für eine gegenseitige Verständigung ein. In der siebten Klasse, heute wäre es die elfte, war ein Schüleraustausch vorgesehen. „Der Vater war einverstanden und ich durfte mitfahren“, berichtet Mutter Franziska. Als einziges Kind vom Land in der gesamten Schülerschar. Die Osterferien und die darauf folgende Woche wurden dafür hergenommen.

Hinaus in die fremde Welt: Aufgekratzt setzten sich die Schüler in den Zug und los ging es nach Châtillon, einem Vorort von Paris. Der Aufenthalt begann mit einer Riesenenttäuschung. Auf alle deutschen Jugendlichen warteten französische Gasteltern – nur auf Aloisia Kloos nicht. Sie stand schließlich mutterseelenallein am Bahnsteig. War das ein Schreck. „Mich holt niemand weg“, schoss es ihr durch den Kopf. „Irgendetwas musste bei der Anmeldung schiefgegangen sein.“ Die Bürgermeisterin von Châtillon meisterte die peinliche Situation. „Dann kommt sie eben zu mir“, sagte die Bürgermeisterin spontan. Was so nicht stimmte. Tatsächlich schlüpfte die 17-Jährige bei Pierre Coiquault, seiner Frau und deren Adoptivtochter Monique unter, vermittelt durch die Bürgermeisterin.

Ein Glücksfall für das Allgäuer Mädchen. „Das ist unbeschreiblich, was ich an Herzlichkeit dort erlebt habe. Das war einmalig.“ Im gutbürgerlichen Haus der Coiquaults war während des Krieges SS einquartiert. Zwar sprach die Familie offen mit der Deutschen über diese negativen Erlebnisse, aber stets mit dem Zusatz „Oublié“ – „Das ist vergessen“. Aloisia Kloos fühlte sich als Tochter aufgenommen. „Das war ein Urerlebnis an Versöhnung.“

Ihr fielen rasch die opulenten Obstschalen am Frühstückstisch auf. „Das waren Berge von Früchten. Ich sehe sie noch vor mir. So etwas kannte ich nicht oder höchstens von Fotos“, schwelgt Mutter Franziska noch heute. Wo das alles herkomme, wollte sie wissen. Er handele damit, antwortete Pierre Coiquault, und wenn sie um zwei Uhr früh aufstehen könne, dann werde er sie mitnehmen. So lernte die Deutsche die berühmten „Halles“, den „Bauch von Paris“, kennen. Und als ihr Gastvater bemerkte, dass sie gerne Bananen aß, hieß es stets: „Une banane, Mademoiselle!“

Die Familie ermöglichte ihrem Gastkind auch die gewünschten regelmäßigen Gottesdienstbesuche. Am Ostermontag durfte sie mit zu einem Ausflug in die Normandie, wo die Großmutter wohnte. „Auch sie hat das deutsche Kind auf Händen getragen.“

Natürlich gab es ein ausgedehntes Besuchsprogramm. Die ganze Palette: Louvre, Versailles, Notre Dame, Eiffelturm. Geblieben bei Mutter Franziska ist aber vor allem Erinnerung an die Herzlichkeit, gelebte Völkerverständigung und das Gefühl des Geborgenseins in einem fremden Land. „Ich bin eine große Verteidigerin von Auslandsaustausch und eine absolute Europaanhängerin“, sagt Mutter Franziska heute.

Der Kontakt zu den Gasteltern riss mit ihrem Eintritt ins Kloster ab, unmittelbar nach dem Abitur. „Solche Kontakte waren nicht mehr möglich“, bedauert sie. Geblieben ist ihr nur der Umschlag eines Briefes, den ihre Mutter an sie geschickt hat, während sie noch in Frankreich war. Der Brief selbst existiert nicht mehr.