Hilfsbereitschaft mit tödlichem Ausgang

26.02.2009 | Stand 03.12.2020, 5:10 Uhr

Der Tatort: ein Wohn und Geschäftshaus an der Münchener Straße. ? Arch - foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Schweigend verfolgte der Angeklagte den Prozess. Der des Mordes beschuldigte Steffen P. äußerte sich gestern nach Verlesung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe zwar zu seinem Lebenslauf, machte sonst aber keine Angaben. Der Mann soll im Mai 2008 einen 72-Jährigen umgebracht haben.

Für Staatsanwältin Heike Will präsentiert sich der Fall vor dem Schwurgericht am Landgericht durchaus schlüssig: Der obdachlose 26-Jährige hatte das Opfer, einen an der Münchener Straße lebenden Rentner, im Park am Schwarzen Weg unweit von dessen Wohnung kennen gelernt. Zuvor war er wegen diverser Diebstähle im Gefängnis gesessen und nun mittellos. Der 72-Jährige, ein "gutgläubiger Mensch, der gerne den Samariter spielen wollte", wie ein Nachbar vor Gericht sagte, hatte sich des jungen Mannes angenommen und ihn einige Male zu sich daheim eingeladen. Dort versorgte er den Obdachlosen mit Essen und Kleidung. So soll es auch irgendwann zwischen dem 26. und 27. Mai 2008 gewesen sein. Doch diesmal, davon geht die Anklage aus, sollte die Hilfsbereitschaft des Ingolstädters sein Todesurteil bedeuten. Denn Steffen P. fasste laut Staatsanwältin Will den Entschluss, den arglosen alten Mann umzubringen, um ihn anschließend auszurauben.

Nachdem der 26-Jährige – so wird ihm zur Last gelegt – dem Ingolstädter in dessen Schlafzimmer einen heftigen Schlag auf den Kopf verpasst hatte, holte er einen Gürtel, legte ihn dem Opfer um den Hals und zog zu, in der Absicht, den Wohnungsinhaber zu erdrosseln. Das gelang jedoch nicht, so dass der Obdachlose in die Küche ging, ein Messer holte und es dem 72-Jährigen so heftig in die Brust rammte, dass die Elf-Zentimeter-Klinge eine Rippe durchdrang und das Herz traf. Der Rentner starb.

Der genaue Todeszeitpunkt steht bis heute nicht fest. Die geschiedene Ehefrau des Opfers hatte die Leiche am Vormittag des 28. Mai entdeckt. Sie dachte im ersten Moment, der 72-Jährige sei nur gestürzt, als sie den nur mit Unterwäsche bekleideten Mann regungslos und mit einer stark blutenden Wunde an der linken Stirnseite neben seinem Bett liegen sah. Ein Brüderpaar in der Nachbarwohnung hörte sie um Hilfe schreien und ging nachschauen. Schnell war klar: Hier gab es nichts mehr zu helfen, das Messer steckte noch in der Brust.

Wenig später war die Polizei zur Stelle und riegelte den Tatort ab. Während die Fahndung anlief, saß der mutmaßliche Mörder bereits in der Arrestzelle. Der 26-Jährige war wenige Stunden vor Auffinden des Toten im Park bei der Antonkirche festgenommen worden, weil er Blumenbeete zerstört hatte. Welchen mutmaßlich "dicken Fisch" sie da erwischt hatte, wurde der Polizei indes erst bewusst, als Nachbarn eine Beschreibung des Mörders abgaben und ein Ermittler den jungen Mann im Vorbeigehen in einer Arrestzelle der Polizeiinspektion sitzen sah. Statt nur Sachbeschädigung muss Steffen P. sich nun den Vorwurf des Mordes gefallen lassen.

Die letzten Stunden im Leben des Opfers lassen sich nur schwer nachvollziehen. Er sei ein überaus frommer, freundlicher und hilfsbereiter Mann gewesen, der engagiert in einer Kirchengemeinde mitgearbeitet und öfter Obdachlosen geholfen hatte, hörte das Gericht – "ein lebenslustiger Mensch, der viel Spaß gemacht hat", berichtete ein 61-jähriger Nachbar. "Das hat er jetzt davon, weil er so gutgläubig war." Allerdings hatte der 72-Jährige gern mal zur Flache gegriffen und war dann jähzornig und mitunter gewalttätig geworden, sagte seine Ex-Frau, die er zwei Mal geheiratet hatte und sich jeweils wieder scheiden ließ. Trotzdem blieb der Kontakt.

Der Angeklagte war in den Tagen vor dem Mord von mehreren Nachbarn des Getöteten gesehen worden, unter anderem von dem Brüderpaar aus demselben Haus. Die Männer hatten Steffen P. zur mutmaßlichen Tatzeit aus dem Haus gehen sehen und angesprochen. Er sei vom Sozialdienst, der 72-Jährige sei wegen Herzproblemen im Krankenhaus, erklärte der junge Mann und verschwand. "Da hätten wir eigentlich schon die Polizei holen sollen. Aber wer denkt schon, dass da so ein Verbrechen passiert ist", sagte einer der Zeugen. Der Prozess wird am 5. März fortgesetzt.