Nürnberg
"Heydrich" bestreitet Terrorpläne

Prozess in Nürnberg gegen mutmaßliches Mitglied der rechtsradikalen Chatgruppe "Feuerkrieg Division"

19.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:33 Uhr
Wegen Plänen für einen rechtsgerichteten Terrorakt sitzt der 22-Jährige aus Cham nun auf der Anklagebank. −Foto: Karmann, dpa

Nürnberg/Cham - Fast schon schüchtern betritt der blonde Angeklagte am Donnerstagmorgen um 9 Uhr einen Sitzungssaal des Landgerichts Nürnberg-Fürth.

Mit einem gemeingefährlichen Neonazi, der aus Rassenhass möglichst viele Menschen töten will, hat der 22-jährige Mann aus Cham auf den ersten Blick wenig gemein. Artig nimmt der gelernte Elektriker im dunklen Anzug auf der Anklagebank Platz. Beinahe ängstlich nickt er mit dem Kopf, als seine beiden Verteidiger im Brustton der Überzeugung erklären, dass der mutmaßliche Neonazi in Wirklichkeit niemals zum rechten Attentäter mutiert wäre. "Unser Mandat wollte niemandem Leid zufügen oder weh tun", betont einer der Verteidiger.

Zuvor entwirft der Staatsanwalt das Bild eines fest entschlossenen Rechtsterroristen, der aus Rassenhass ein Massaker in einer Moschee oder Synagoge anrichten wollte. Während sich andere junge Männer für Autos, Musik oder Mädchen interessierten, soll sich der Angeklagte für Nazi-Ideologien und Waffen begeistert haben. An dem Schaufenster eines lokalen Waffengeschäftes muss sich der Angeklagte regelrecht die Nase platt gedrückt haben. Hier hat sich der Angeklagte reihenweise mit Schreckschusspistolen und Luftgewehren eingedeckt.

Noch schlimmer wiegt in der Anklageschrift wohl die Tatsache, dass der Angeklagte in seiner Freizeit an dem Bau eines Gewehrs gebastelt hat. Echte Waffenteile, wie das Originalgehäuse eines Sturmgewehrs mit klappbarer Schulterstütze, hat sich der Angeklagte aus serbischer Produktion im Internet bestellt - und genauso wie den Verschlussdeckel, den Ladestreifen und ein Leuchtpunktzielgerät in Einzelteilen per Post an die Adresse der Großmutter liefern lassen. Diese wird später im Zeugenstand erzählen, dass der Enkel sich immer brav bedankt habe, wenn die Oma eines der vielen Pakete in Empfang genommen habe.

Mit einem Finger rückt der Angeklagte seine schwarze Hornbrille auf der Nase zurecht, als der Staatsanwalt von den Ausflügen des Angeklagten im Internet berichtet. In den dunklen Chaträumen der rechtsradikalen "Feuerkrieger Division" soll er unter dem Pseudonym "Heydrich" einen Angriff auf ein Gotteshaus angekündigt haben. Der Cousin im Zeugenstand berichtet später davon, wie er den Angeklagten mit Spielzeug-Kalaschnikow, Totenkopf-Sturmmaske und Bundeswehr-Tarnanzug mit der Kamera im Wald ablichten musste. Gelegentlich habe sich der Angeklagte auch über die hohe Zahl von Flüchtlingen beschwert. Gemeinsam habe man ein Propaganda-Video der amerikanischen Neonazi-Bewegung "Atomkraft Division" angesehen. Gewundert habe er sich schon ein wenig, als sich sein Cousin Hitlers Pamphlet "Mein Kampf" besorgte und erfolgreich bei der Bundeswehr bewarb. Das Soldatenleben in der Kaserne habe er aber nur eine Woche ausgehalten. Danach ist er wieder zurück in den Dorfkeller gezogen.

Die Mutter berichtet als Zeugin davon, wie der 22-Jährige zuletzt ständig in Tarnklamotten durch die Gegend gelaufen sei. Selbst an Sonntagen sei er bei den Großeltern im Militär-Zwirn erschienen. Die Oma erzählt, dass der Enkel selbst an Feiertagen immer mutterseelenalleine zum Kuchenessen anmarschiert sei. Überhaupt ist der Angeklagte offensichtlich ziemlich einsam gewesen. Man lebt unter einem Dach, sieht sich praktisch aber nicht. Die Mutter arbeitet Frühschicht, der Sohn Nachtschicht. Bedrückt habe die Mutter nur, dass der Filius von den Arbeitskollegen wegen seines blonden Seitenscheitels als SS-Mann mit dem Spitznamen "Heydrich" verspottet worden sei.

Auch der Vater erzählt von einer wachsenden Entfremdung. Kurz nach der Scheidung der Eltern sei der Kontakt fast vollständig abgebrochen. Und das, obwohl die gesamte Familie noch immer im selben Dorf lebt. "Viel gesprochen haben wir nicht. Das liegt bei uns beiden wohl in den Genen", sagt der Vater. Die vielen Schreckschusswaffen habe der Sohn laut Mutter aus Angst vor Einbrechern gehortet.

Trotzdem ist der Staatsanwalt davon überzeugt, dass der 22-Jährige eine schwere staatsgefährdende Gewalttat ausführen wollte. Die Verteidiger sprechen dagegen von psychischen Problemen, unter denen der Angeklagte leiden würde. Die Mutter erinnert sich daran, dass ein Mathelehrer einmal die Behandlung beim Psychologen empfohlen habe. Den Ratschlag hat die Familie - leider müsste man heute wohl sagen - nicht ernst genommen. Das Urteil soll noch im Dezember gesprochen werden.

DK

Nikolas Pelke