Ingolstadt
Hexenkunst am Streichinstrument

Ingolf Turban und Wen-Sinn Yang zeigen beim Konzertverein, was wahre Virtuosität ist

04.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:31 Uhr

Wundergeige: Ingolf Turban und die I Virtuosi di Paganini - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Nachdem er die ersten zwei Werke vorgetragen hatte, richtete der Münchner Geiger Ingolf Turban eine kleine Testfrage an das Publikum im Ingolstädter Festsaal: Welche Geige er gespielt hätte, ein modernes Instrument oder eine Stradivari aus dem Jahr 1721, wollte er wissen. Natürlich traute sich niemand im Publikum eine Antwort zu.

Zu präsent ist noch die kürzlich publizierte amerikanische Untersuchung, bei der herauskam, dass nicht einmal versierte Geigenspieler im Blindtest in der Lage sind, ein legendäres historisches Instrument von einem modernen zu unterscheiden. Turban verriet dem Publikum also gleich das Ergebnis: Die berühmte Teufelstriller-Sonate von Giuseppe Tartini, mit der er das vom Konzertverein Ingolstadt veranstaltete Konzert eröffnete, hatte er auf einer Stradivari gespielt, die „Romanza senza parole“ vom Paganini-Schüler Camillo Sivori mit einer Violine aus dem Jahr 2009.

Rätselhaft: An der Geige kann es also nicht gelegen haben, dass zwei völlig verschiedene Klangwelten zu hören waren. Der Unterschied zwischen Tartini und Sivori war so gewaltig, als wenn nicht ein, sondern zwei Geiger gespielt hätten.

Mit diesem Gedanken ist man dem Faszinosum des Münchner Virtuosen bereits auf der Spur. Denn Ingolf Turbans Markenzeichen sind weniger die überragenden manuellen Fähigkeiten als vielmehr seine Wandlungsfähigkeit. Oder anders ausgedrückt: Er spielt nicht nur schneller, lauter und sauberer als andere, sondern er ist auch ein Magier der unterschiedlichsten Klänge, Stricharten, Vibratos. Und gerade bei den ersten beiden Werken konnte der 48-Jährige zeigen, was für eine Kontrolle er über seine Instrumente hat. Den Tartini, der fast immer als quasi frühromantisches Virtuosenstück missverstanden wird, begriff Turban als ganz und gar barockes Werk. Statt leeren Schönklang produziert er spannende Klangrede, Phrasierungskunst auf höchstem Niveau, bei der das Vibrato nur eingesetzt wird, um einige Töne hervorzuheben. Nicht die großen Bögen interessierten ihn, sondern kleinteilige, prägnante Motive, die er hochdynamisch musizierte.

Wie verwandelt dagegen die Sivori-Romanze: schmachtende Romantik, vibrierender, dunkelgetönter Violinsamt, unendliche Melodienseligkeit. Aber auch hier vermied Turban den Einheitstonfall manch anderer großer Geiger. Vielmehr liebte er die kleinen Verzögerungen, die Ironie. Diese Charakteristika verstärkten sich noch bei Niccolò Paganinis Virtuosen-Reißer „Le Streghe“. Fast augenzwinkernd führte Turban den Hexentanz vor, wie ein Zauberer, der noch bei den abgründigsten Tricks über allen Problemen steht und unverwandt den Zuhörern zulächelt. Turban schien auf seine dünnen, gummiartig sich verbiegenden Finger zu schauen, als würde er einen Flohzirkus beobachten. Das war wahrhaft teuflische Virtuosität.

Begleitet wurde Turban bei diesen Stücken nicht vom Cembalo oder einem Klavier, sondern von dem agil musizierenden Ensemble I Virtuosi di Paganini. Besetzt ist das kleine Orchester fast durchweg von Schülern des Geigers und des zweiten Stars des Abends, des Cellisten Wen-Sinn Yang.

Der stellte sich nach der Pause mit Adrien-François Servais’ Virtuosenstück „Souvenir de Spa“ vor. Servais (1807–1866) galt als Paganini des Cellos. Entsprechend gespickt mit abenteuerlichen Schwierigkeiten ist sein Variationenwerk. Wen-Sinn Yang allerdings ging mit den Schwierigkeiten gänzlich anders um als sein geigender Kollege. Während Turban immer ein wenig Distanz ausstrahlte, ist Yang ein Temperamentsbündel, der die Dramatik liebt, das Letzte an Intensität aus seinem Instrument herausholt und sich mit gewaltiger Energie ins musikalische Geschehen stürzt. Dementsprechend spannend klang das „Duo brillant“ von Henri Vieuxtemps, bei dem die beiden unterschiedlichen Temperamente aufeinandertrafen. Den Abschluss des Konzertes allerdings gestaltete wieder Ingolf Turban allein mit Pablo de Sarasates populärer „Carmen-Fantasie“. Wie alle Stücke des Abends hatte auch dieses Werk der Konzertmeister des Kammerorchesters, Holger S-L Frey, geschickt arrangiert. Allerdings kann gerade bei der „Carmen-Fantasie“ ein kleines Ensemble die Farbigkeit und Wucht eines Sinfonieorchesters allenfalls andeuten. Da auch Turban sehr intellektuell zu Werke geht, erlebte das Publikum Minuten genialischer Ironie, in denen die Liebestragödie nicht ausgespielt, sondern nur insinuiert wurde. Und die dem Geiger die Gelegenheit bot, nicht nur grandios virtuos zu spielen, sondern diese teuflischen Schwierigkeiten mit unbeschreiblichem Understatement zu inszenieren. Fantastischer, vieldeutiger, hintergründiger kann man dieses Stück nicht interpretieren.