Neuburg
"Heute ist er für uns noch mal auferstanden"

Starfighter-Pilot Dieter Becker ist vor 50 Jahren in Neuburg ums Leben gekommen - Familie besucht Absturzort

17.11.2021 | Stand 23.09.2023, 21:51 Uhr
Vor 50 Jahren ist Major Dieter Becker mit seinem Starfighter im Wald bei Zell abgestürzt. . −Foto: Taktisches Luftwaffengeschwader 74/Janda

Neuburg - Der Tod kommt überraschend und binnen Sekundenbruchteilen. Beim Landeanflug auf den Neuburger Flugplatz verliert die Maschine von Starfighter-Pilot Dieter Becker plötzlich und rasch an Höhe, streift einen Baum und zerschellt im Wald. Der Feuerball ist kilometerweit zu sehen, der 34 Jahre alte Pilot umgehend tot. Es ist der 17. November 1971 - ein Tag, der das Leben von Beckers Frau Elisabeth und ihren beiden Zwillingstöchtern Sylvia und Astrid für immer verändert. Aber auch ein Tag, über den die Familie lange Zeit wenig weiß. Bis jetzt.

"Lange hatte ich nur ein Bild von meinem Vater im Kopf", erzählt Beckers Tochter Sylvia, die heute mit Nachnamen Jugert heißt. Beim Absturz sind sie und ihre Schwester gerade mal drei Jahre alt. Die Erinnerungen von damals: längst verblasst. Das Bild im Kopf: "Vermutlich eher ein Foto, das wir später gesehen haben", sagt sie. Daher wird es mit den Jahren für die beiden Frauen und ihre Mutter immer wichtiger, die Hintergründe des verhängnisvollen Unfalls zu erfahren. Eine Recherche, die schließlich, zum 50. Jahrestag, nach Neuburg führt - wo sie das Taktische Luftwaffengeschwader 74 mit offenen Armen empfängt.

Heute steht fest, dass der Absturz Beckers definitiv kein Pilotenfehler gewesen ist. "Wir haben so viel wie möglich an Informationen zusammengetragen", berichtet Oberstleutnant Johannes Glowka, der im Presseinformationszentrum der Luftwaffe tätig ist. Das Ergebnis: Ein technischer Defekt in der Sauerstoffanlage hat zu einer Verunreinigung und zu einer Intoxikation des Piloten geführt. Die Folge: Benommenheit und ein Gefühl der Paralyse. "Wir gehen davon aus, dass das der Grund für den Absturz war", so Glowka, der der Familie versichert: "Es war kein Pilotenfehler."

Eine Aussage, die der Familie endlich Gewissheit über das Schicksal von Ehemann und Vater bringt. "Das ist ein tröstlicher Abschluss", sagt Jugert, die lange auf diese Information gehofft hat. Für sie und ihre Schwester entsteht dadurch eine ganz andere Beziehung, "eine ganz andere Nähe" zur ihrem Vater. "Wir konnten ja nie richtig trauern", sagt ihre Schwester Astrid Herden, die hofft: "Vielleicht schließt sich ja irgendwie der Kreis."

Geschlossen hat sich dieser aber vor allem durch einen Zufall. Sylvia Jugert landete nach langer Recherche schließlich bei Oberstleutnant Glowka am Telefon. "Ein Glücksfall", wie die Frauen heute betonen. Sofort kommt die Hilfe aber nicht. Vielmehr spricht der Luftwaffenoffizier daheim in der eigenen Familie über den Fall Becker - und sein Stiefvater, selbst ein ehemaliger Starfighter-Pilot, erinnert sich. "Er hatte ein Buch, in dem der Unfallbericht enthalten war", so Glowka, der in der Folge gemeinsam mit dem Neuburger Traditionsoffizier Hauptmann Ulrich Mocka keine Mühen scheut, möglichst viel über Beckers Schicksal zusammenzutragen. "Wir sind sehr dankbar, hier sein zu dürfen", sagt dessen Witwe. Normalerweise verbringen sie und ihre Töchter den Todestag auf dem Friedhof im baden-württembergischen Radolfzell, wo ihr Mann beigesetzt ist. "Hier zu sein, verstärkt die Erinnerung enorm."

Den Unfall ihres Mannes erlebt die damals 24 Jahre alte Frau in Rohrenfels, wo die Familie 1971 wohnt. Eine Zeit, an die sie ungern zurückdenkt - und über die sie nicht spricht. Schnell kehren sie und ihre Töchter Neuburg in der Folge den Rücken und kehren an den Bodensee zurück. So bricht der Kontakt zum Geschwader langsam ab - und es bleiben nur vereinzelte Berichte von Bekannten. Dadurch erfahren sie, dass der damals 34-jährige Dieter Becker an jenem Novemberabend mit mindestens einer weiteren Maschine zu einem Nachtflug unterwegs ist. Eine Routinesache für den erfahrenen Piloten, der damals 2000 Flugstunden auf dem Konto hat, davon allein 1000 mit dem Starfighter. Tatsächlich zählt er damit sogar zu den erfahrensten Piloten des gesamten Militärverbands. Sekunden vor dem Aufschlag muss er die Probleme selbst erkennen, sein Flügelmann soll ihm noch versprochen haben: "Ich bringe dich auf Sicht zurück." Doch die Hilfe kommt zu spät.

Beckers Maschine ist der 142. Starfighter, den die Bundeswehr verliert. Es soll nicht der letzte sein. Insgesamt stürzen 269 Maschinen der Luftwaffe ab, 116 Piloten kommen dabei ums Leben. Dass Neuburg mit acht Abstürzen und drei Toten vergleichsweise glimpflich davonkommt: Für Elisabeth Becker und ihre Töchter kein Trost.

Sie erinnert sich an ihren Mann als fröhlichen Menschen. "Piloten waren alle ein bestimmter Typ Mann", erzählt sie. Eine Beschreibung, in die Dieter Becker voll hineingepasst habe. Charisma, Lebenslust, auch viel Selbstbewusstsein. "Ein guter Typ", sagt die Witwe und muss schmunzeln.

Beim Besuch in Neuburg bekommt sie viel zurück von den Erinnerungen, die sie in den vergangenen fünf Jahrzehnten vergessen hat. Und sie erhält auch zwei besondere Stücke, die ihr Rolf Hanisch überreicht. Der Neuburger, Ende der 1960er-Jahre selbst Wehrpflichtiger im Geschwader, hat 50 Jahre lang ein Stück Metall und ein Relais aufbewahrt. Beides stammt aus Beckers Maschine, beides hat er nach dem Absturz in dem Waldstück gefunden. "Das haben Sie all die Jahre aufbewahrt?", fragt Elisabeth Becker ungläubig, als hätte Hanisch nur auf ihren Besuch gewartet. Später legen sie und ihre Töchter am Waldrand drei weiße Rosen nieder. Und um Punkt 19.56 Uhr flackern die Lichter Flughafens in den Neuburger Nachthimmel. Es ist die Uhrzeit des Absturzes. "Das war das Letzte, was ihr Mann gesehen hat", erklärt Ulrich Mocka. Für Beckers Witwe und die Töchter sind es emotionale Momente. "Heute ist er für uns noch mal auferstanden", sagt sie.

DK

Stefan Janda