"Heute bin ich eine Exotin in der Landschaft"

13.03.2009 | Stand 03.12.2020, 5:07 Uhr

Alle waren sie schon bei ihr zu Gast: Ministerpräsidenten, Minister, Abgeordnete, Unterstützer. Schwester Michaela hat Regens Wagner Hohenwart immer mit viel Einsatz nach außen dargestellt. - Foto: Hofmann

Schrobenhausen (SZ) Am kommenden Freitag wird sie offiziell verabschiedet: Schwester Michaela Speckner hört nach fast 20 Jahren als Gesamtleiterin von Regens Wagner Hohenwart auf. SZ-Reaktionsleiter Mathias Petry sprach mit ihr.

Schwester Michaela, wissen Sie noch, wie viele Mitarbeiter Regens Wagner Hohenwart hatte, als Sie hier anfingen?

Schwester Michaela: Es waren rund 130.

Wie viele sind es heute?

Schwester Michaela (lächelt): Heute sind es 500 Personen, inklusive Praktikanten, Zivildienstleistenden, Teilzeitkräften und der Regens-Wagner-Berufsschule Schrobenhausen.

Da müssen Sie selbst lachen. Schwester Michaela, damit zählen Sie zum erlauchten Kreis unserer regionalen Top-Manager.

Schwester Michaela: Ich denke, ich bin in die Rolle hinein gewachsen. Und ein Unternehmen gut zu managen, ist eine herausfordernde Aufgabe.

Hier ist ein Riesenunternehmen entstanden.

Schwester Michaela: Ja, die Verantwortung ist mir sehr bewusst.

Inwieweit ist Hohenwart für Sie in fast 20 Jahren Heimat geworden?

Schwester Michaela: Ich war hier schnell verwurzelt. Ich brauchte diese Wurzeln, um bestehen zu können. Es gibt sehr viele Beziehungen, die hier entstanden sind.

Kannten Sie Hohenwart, bevor sie hierher kamen?

Schwester Michaela: Ja, meine Tante, Schwester Micheline, war hier Erzieherin. Ich habe sie öfter, schon als Kind, besucht.

Seither ist eine Menge passiert. Es ist viel geschaffen worden.

Schwester Michaela: Ich kam nicht mit dem Interesse, viel zu bauen. Mein Interesse galt dem inneren Aufbau. Um das zu erreichen, war der äußere Aufbau die natürliche Folge.

Wie definieren sie "innerer Aufbau"?

Schwester Michaela: Dass die vielen Mitarbeiter im Auftrag von Regens Wagner an einem Strang ziehen, gemeinsame Ziele haben. Dass sie wissen, was Menschen mit Behinderung brauchen. Dass wir entsprechende Strukturen schaffen und die Stellen mit Kompetenzen ausstatten, dass wir für die Menschen mit Behinderung in der Region Angebote vorhalten und dass wir Bündnispartner finden.

Schwester Michaela, nachdem Sie Tracht tragen, fallen auf – inwieweit werden Sie denn als Managerin wahrgenommen?

Schwester Michaela: Es kommt drauf an. Alle, mit denen ich beruflich zu tun hatte, haben mich in dieser Rolle wohl wahrgenommen, unsere Partner, Kostenträger, Behörden. Und viele Menschen in der Region haben mich als solche geachtet und geschätzt.

Regens Wagner Hohenwart hat durch Sie ein Gesicht in der gesamten Region bekommen.

Schwester Michaela: Das stimmt schon. Meine Nachfolger werden als Vertretung zunächst optisch nicht so auffallen wie ich, ich hoffe aber, sie werden genauso sichtbar sein. Ich nehme schon wahr, dass hier etwas zusammengekommen ist, – Ordensfrau und Verantwortliche einer großen Einrichtung – was in der heutigen Zeit nicht mehr oft wahrzunehmen ist.

Heute sind weltliche Geschäftsführungen üblich.

Schwester Michaela: Ja. Als ich anfing, war das anders. Es gab noch viele Ordensfrauen und -männer in Leitungsaufgaben von Einrichtungen. Heute bin ich – mit einigen wenigen – eine Exotin in der Landschaft.

Ist es ein Vorteil, dass Sie ein Ordenskleid tragen?

Schwester Michaela: Ja und nein! Ich denke, ich hab meine Rolle als Ordensfrau manchmal bewusst genutzt, als Anwalt für die Menschen mit Behinderung. Jeder hat seine Vorstellungen darüber, wie eine Ordensfrau gestrickt sein muss. (lacht) Wahrscheinlich habe ich manche Vorstellungen durcheinander gebracht.

Sie mussten also Ressentiments beseitigen?

Schwester Michaela: Das auch. Jeder sieht mich erst einmal durch eine Brille, wie er sich Ordensfrauen vorstellt – bis ich mich freigeschaufelt habe und die Leute merken: Ich bin ich, auch als Ordensfrau.

Wie werden denn Ordensfrauen aus Ihrer Erfahrung heraus eingeschätzt?

Schwester Michaela: Vielleicht ein bisserl braver, zurückhaltender, weniger kritisch . . .

Das heißt, man hat geglaubt, Sie über den Tisch ziehen zu können?

Schwester Michaela: Nein, das nicht. Manche haben vielleicht geglaubt, es einfacher mit mir zu haben (lächelt).

Die wissen’s inzwischen! Sie waren sehr früh als Frau in einer Führungsposition . . .

Schwester Michaela: So ist es, schon vor meiner Hohenwarter Zeit. Ich hatte die Chance in einer Zeit zu wirken, wo man viele Dinge entwickeln konnte, und ich habe diese Chance genutzt. Es war nicht immer leicht. Wir haben auch unendlich kämpfen müssen. Ich habe mich mit Vorgängen auseinandersetzen müssen, die sehr an die Substanz gingen. Vielleicht hat mich das stärker gemacht.

Zum Bild der Ordensfrau gehört auch, dass es vielleicht nicht soviel Privatleben gibt. Sie haben sicherlich mehr als 40 Stunden pro Woche gearbeitet.

Schwester Michaela: Ja, ich habe viel und gerne gearbeitet. Es bewegt mich seit einigen Jahren, wie dieses Pensum von meinen Nachfolgern geleistet werden kann. Es war mir schon lange klar, dass keine Ordensfrau nachkommt, weil ganz einfach der Nachwuchs im Moment nicht sichtbar ist. Wir haben immer mehr versucht das Haus so aufzustellen, dass das Pensum auch für eine weltliche Leitung zu bewältigen ist. Es ist übrigens nicht so, dass ich in diesem Büro immer nur dienstlich gearbeitet habe, wenn das Licht bis in den späten Abend hinein gebrannt hat. Ich habe manchmal auch etwas für mich privat getan oder Aufgaben, die mir wichtig waren – wie die historische Aufbereitung – zu meinem Hobby gemacht.

Die historische Klosterapotheke haben Sie zu einem kleinen Museum gemacht . . .

Schwester Michaela (lächelt): Das, und einiges mehr. Mir war wichtig, die Schätze aus der Geschichte für die Nachwelt zu erhalten, damit unsere Mitarbeiter ein Gespür bekommen, auf welchem Boden wir weiter bauen dürfen.

Hier in der Ecke steht eine Gitarre. Spielen Sie oft?

Schwester Michaela: Viel zu wenig. Das sieht nur so aus, als ob. Manches ist zu kurz gekommen. Obwohl ich jeden Tag singe!

Sie werden bald mehr Zeit für sich haben. Werden Sie sich ganz zur Ruhe setzen?

Schwester Michaela: Ich denke nicht, dass das gesund für mich wäre. Ich werde aber keine Leitungsaufgaben in einer Einrichtung mehr übernehmen.

SZ-GESPRÄCH

Sie streben aber keinen Ruhestand mit Gartenarbeit und Gitarrespielen an?

Schwester Michaela: Ich werde wohl auch das machen, aber nicht nur.

Haben Sie neben Ihren historischen Interessen Hobbys?

Schwester Michaela: Hobbys? Ich sag mal so: Ich habe mich immer um einen gesunden Tagesrhythmus bemüht. Ich habe mich – bei allem Stress, den meine Aufgabe mit sich brachte – immer darum bemüht, vernünftig zu leben. Ich halte regelmäßig eine Mittagspause ein, gehe am Wochenende konsequent spazieren, außer es stürmt – das brauche ich, um manche Anspannung abzulaufen. Ich habe mir angewöhnt, jeden Morgen ein paar Minuten Gymnastik zu machen, damit ich mich spüre und lebendiger in den Tag hineingehen kann. Ich lese gerne und relativ viel. Und wir haben in der Schwesterngemeinschaft oft kleine Anlässe zum Feiern genommen, bei denen ich gerne mit gestaltet habe.

Welche Rolle spielt für Sie das Gebet?

Schwester Michaela: Morgens die gemeinsame Laudes und abends die Vesper zu singen ist mir sehr wichtig. Das sind Stützpunkte, Zeiten, in denen ich loslassen muss und mir Worte für den Tag sagen lasse. Ich versuche immer wieder Zeiten zu finden, wo ich mich vor Gott stelle und vor ihm sortiere. Genauso wichtig war für mich, in der Schwesterngemeinschaft zusammen zu kommen, miteinander zu essen, uns auszutauschen, oder eine Stelle der Heiligen Schrift für unser Leben zu buchstabieren.

Wie viele Ordensschwestern leben noch in Hohenwart?

Schwester Michaela: Wir sind noch 13.

Wann ist das erste Gebet?

Schwester Michaela: Die Laudes als gemeinsames Morgenlob ist je nach Werktag um 6.15 Uhr, jetzt oft auch erst um 7 Uhr – in den ersten 17 Jahren war sie immer um 6 Uhr.

Sind Sie ein Morgenmensch?

Schwester Michaela: Eigentlich nicht, aber wenn ich dann auf bin, tut´s mir gut.

Wann stehen Sie morgens auf?

Schwester Michaela: Je nachdem, ob wir morgens eine Eucharistiefeier haben. Zwischen halb sechs und sechs, am Wochenende später.

Ist das Luxus für Sie, länger zu schlafen?

Schwester Michaela: Durchaus (lächelt). Heute früh habe ich übrigens verschlafen.

Bleiben wir doch nochmal beim Wort "Luxus". Was ist für Sie Luxus?

Schwester Michaela: Zum Beispiel ein schöner Urlaub.

Sie reisen gern?

Schwester Michaela: Ich mache gerne an bisher unbekannten Gegenden Urlaub, wandere gern und erkunde geschichtliche Schätze. Ein Tag in der Stadt genügt mir in der Regel, dann muss ich wieder raus.

Wie lange haben Sie Urlaub?

Schwester Michaela: Eigentlich vier Wochen. Bei mir waren´s in der Regel einmal im Jahr 14 Tage am Stück. Dazu vielleicht nochmal eine Woche und Exerzitien, die mir ganzheitlich gut getan haben.

Sie sind also kein Weltenbummler?

Schwester Michaela: Nein, das nicht.

Könnten Sie das denn leisten?

Schwester Michaela: Ich war an manchen Orten, in Spanien, Irland, Ungarn, Italien. In der Regel habe ich dann Berufliches oder was den Orden betrifft mit Privatem verbunden. Als Franziskanerin versuche ich einen einfachen Lebensstil zu pflegen.

Bekommen Sie eigentlich ein Gehalt?

Schwester Michaela: Nein, nicht in die Hand. Ich bekomme wie jede andere Schwester ein wenig Taschengeld. Wenn ich darüber hinaus etwas brauche, dann gehe ich zu meiner Oberin, und die kennt mich und weiß, was ich brauche und mag.

Aber Sie wissen, was Sie in Ihrer Position verdienen würden.

Schwester Michaela: Durchaus – wobei die Gehälter in sozialen Einrichtungen nicht mit denen der Wirtschaft zu vergleichen sind.

Spielt Geld für Sie persönlich eine Rolle?

Schwester Michaela: Ich unterzeichne und verantworte im Beruf sehr hohe Summen. Privat spielt Geld für mich nicht die große Rolle, obwohl ich froh bin, wenn ich etwas in der Tasche habe.

Haben Sie Träume?

Schwester Michaela: Im Moment nicht. Ich bin zurzeit in einer Übergangsphase, die mich voll vereinnahmt. Das eine ist noch nicht weg, das Neue noch nicht da. Das wird sich wieder ändern.

Sie werden Hohenwart verlassen?

Schwester Michaela: Eines Tages, nicht sofort. Irgendwann im Sommer oder Herbst wird mein weiterer Weg spruchreif sein.

Wird es Ihnen schwer fallen woanders neu anzufangen?

Schwester Michaela: Es wäre für mich sicherlich schwierig, an einem Ort zu sein, wo ich nicht mit gestalten könnte. Das geht schon beim Bilderaufhängen los.

Wo auch immer Sie hinkommen – die werden sich wundern!

Schwester Michaela (lacht): Das war hier auch so, damals. Ich habe mich, wo ich auch war, immer eingebracht. Nur bei meiner Abschiedsfeier lässt man mich nicht mitreden – das ist nicht ganz so leicht für mich (lacht wieder).

Welche Bilder mögen Sie?

Schwester Michaela: Verschiedenes. Chagall und Nolde, wie Sie sehen.

Was möchten Sie den Hohenwartern mit auf den Weg geben?

Schwester Michaela: Sie meinen, der Marktgemeinde? Dass Regens Wagner ihre Einrichtung ist, mit der sie sich identifizieren. Ich denke, der Klosterberg macht etwas mit Hohenwart und Regens Wagner ist ein wichtiger Faktor für Hohenwart. Die Einrichtung für die vielen Menschen mit Behinderung bringt eine Qualität in einen Ort, die es lohnt, sie wert zu schätzen. Wir haben hier auch sehr schwer behinderte Menschen. Sie als Mitbürger zu akzeptieren ist bestimmt nicht immer leicht – bringt aber viel soziale Kompetenz in einen Ort.

Was werden Sie in Hohenwart vermissen?

Schwester Michaela: Ich werde das ganze Fluidum des Klosterbergs vermissen, unser Refektor, also das Speisezimmer, mit Blick ins Paartal. Das alles genieße ich umso mehr, seit ich weiß, dass ich nicht hier bleiben werde. Ich werde die Atmosphäre im Haus vermissen, viele Menschen, die gewachsene Schwestern- und Mitarbeitergemeinschaft, die Gottesdienste mit den Menschen mit Behinderung und die Hohenwarter – auch den Kirchenchor! Ich habe mich als Hohenwarterin gefühlt und viel Akzeptanz gespürt. Viele der behinderten Menschen sind mir ans Herz gewachsen. Wahrscheinlich werde ich es erst im Nachhinein merken, was ich noch alles vermisse.