Eichstätt
"Herr der Blendung" und die Schönste der Sendung

22.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:05 Uhr

Schneewittchen (Annalena Margraf, Mitte) mit ihren Zwergen im Container. Die Schauspieler agierten hinreißend, aber am Schluss erhielten auch "Autor-Regisseur" Norbert Knabl und seine ebenfalls engagierte Gattin Christine viel Applaus, ebenso das bewährt professionelle Technik-Team unter der Leitung von Willy Hefele. - Foto: buk

Eichstätt (buk) Schneewittchen hat keinen gläsernen Sarg mehr, sondern zieht in einen großen Container, aber nicht im Märchen noch in der Sendung "Big Brother", sondern in dem Theaterstück "Small Sister": Mit ihrer neuen Eigen-Produktion bürstet die Theatergruppe des Grundkurses Dramatisches Gestalten am Gabrieli-Gymnasium unter der Leitung von Norbert Knabl auch heuer wieder einen bekannten Stoff gegen den Strich, indem es ihn mit aktuellen Themen anreichert. Nach der Premiere am Mittwoch vor viel Publikum gibt es am heutigen Freitagabend ab 19.30 Uhr eine weitere Aufführung.

Die Grundidee des Stückes ist ebenso originell wie einleuchtend: Die sieben stets in strahlendes Weiß gekleideten Zwerge Hanni (herrlich überdreht: Rebecca Habisch), Micha (Juliane Heng), Georgy (Jacqueline Mathias), Jacky (flippig: Annika Mödl), Schulz (Monika Schmidt), Marlen (Lea Schneele) und Chef (Sabina Schneider) wohnen nicht im Schloss, sondern ziehen in einen Container, aus dem sie vor laufender Kamera der Reihe nach herausgewählt werden müssen. Die Wertung nimmt nicht ganz freiwillig das später dorthin gelockte Schneewittchen vor (betörend sexy geschminkt: Annalena Margraf).

 
Sind es wirklich sieben Zwerge? Nein, da gibt es noch einen schwarz gekleideten weiteren Zwerg, der einfach "Achter" heißt (beeindruckend gelenkig als Michael Jackson-"Moon Walker": Agnes Stelzer). Er bleibt fast die gesamte Handlung über stumm und wird ignoriert oder gemobbt, bis sich am Schluss sein Name erklärt: Er ist der "Beob-Achter" und "Begut-Achter" des Geschehens, der "Acht(geb)er", der erst am Ende Übles ahnend die heutigen Weltläufe betrachtet und moralisch bewertet, die Kassandra des Containers.

Das Geschehen darin wird vor der Kamera moderiert von "Chantal Liebling" (verführerisch und zickig zugleich: Pia Bastianelli), Tochter eines berühmten Kreuzberger Anwalts, welche als "Botox-Hexe" den Part des Bösen einnimmt und gerne "die Schönste" wäre, allerdings nicht wie bei den Brüdern Grimm "im ganzen Land", sondern sie fragt sich beim Blick in den Spiegel: "Spieglein, Spieglein, Herr der Blendung – wer ist die Schönste der ganzen Sendung..." Spiegel heißt auch der intrigante Produktionsassistent (Julia Kren), der im Auftrag des Produzenten "Herr Gott" (körperlich und stimmlich beeindruckend präsent: Leonard Bartosch) Sorge für Konzept und Akzeptanz der Sendung trägt.

Tatsächlich erhöht sich die Einschalt-Quote, als Schneewittchen in den Container zieht. Umso fataler, dass die eifersüchtige Chantal Schneewittchen vergiftet, weshalb das trottelige Kriminalisten-Duo Willi und Jake (Samantha Heckl und Marie Prestel) ermitteln muss. Nicht minder fatal fällt ins Gewicht, dass Schneewittchen als Gift ein Schlafmittel verabreicht wird, das vom Haupt-Sponsor der Sendung stammt, für dessen Produkte zwischen den Szenen eifrig geworben wird: Stereotyp verabreicht ein Pseudo-Arzt (Sandra Ricker) einem Probanten (Susanne Mödl) Mittelchen, die prompt verblüffend schnell wirken. Wobei stets ein Wirkstoff der Holunderblüte angepriesen wird, der zugleich für geruhsamen Schlaf und sprudelnde Energie sorgt, womit das Stück die Pharma-Industrie auf die Schippe nimmt.

Es versteht sich, dass in dieser Schneewittchen-Version Aschenputtel, Dornröschen und Hänsel und Gretel (Andreas Strasser und Sandra Ricker) auftreten, außerdem spielt der Rapper "Rap-Unzl" (Benedikt Müller) eine Rolle und eine kleine Schar bezaubernd tanzender Fünftklässlerinnen mischt ebenfalls (als "Fans" und "Tauben") mit. – Bei der Uraufführung hatte das Team mit einer kleinen Katastrophe zu kämpfen, die es gut in Griff bekam: Zwei Stunden vor Beginn der Aufführung wurde eine Mitspielerin ins Krankenhaus eingeliefert – spontan übernahm das restliche Ensemble deren Rolle, so dass der Ausfall kaum zu bemerken war.