München
Helden sind unsterblich

Das Münchner Haus der Kunst gewährt einen frischen Blick auf das künstlerische Œuvre von Markus Lüpertz

12.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:32 Uhr
  −Foto: Hall Collection/VG Bild-Kunst, Hoppe/dpa

München (DK) Kraftvoll schreitet Achill durch den Raum. Dass seine Arme amputiert sind und seine Körperteile wie zusammengesteckt wirken - der Kopf zu groß für den Leib, die Beine zu plump und schwer -, tut dem Pathos keinen Abbruch. Denn er ist ein nahezu unverwundbarer griechischer Held aus Homers "Ilias", und als solcher ist er unsterblich.

Ihm gleichen die Künstler - jene der Renaissance, des Impressionismus, der klassischen Moderne -, deren Werke auf ewig präsent sind: "Kunst ist das, was die Zeit anhält", so Markus Lüpertz. Der Herr im weißen Leinenanzug mit Einstecktuch, Krawatte und Spazierstock ist unverkennbar stolz, dass auch er zu den Helden gehört, weil sein Lebenswerk in Museen, Kirchen und Sammlungen präsent ist und nun unter dem Titel "Markus Lüpertz - Über die Kunst zum Bild" im Münchner Haus der Kunst gezeigt wird.

Über 200 Gemälde und Zeichnungen hat er in den Räumen verteilt, ergänzt durch großformatige Skulpturen. Dass hier einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler ausstellt, unterstreicht auch eine Außentreppe an der Fassade des Museums, flankiert von roten Obelisken und dekoriert mit einem venezianisch anmutenden Streifen-Vorhang. "Zu meiner Ausstellung gehört auch ein eigener Eingang", konstatiert der Künstler. "Große Oper" wird an der Prinzregentenstraße den potentiellen Besuchern signalisiert.

Aber nicht die Oper, sondern das Kino hat den Maler geprägt, so die Kuratorin Pamela Kort, die Lüpertz seit dreißig Jahren kennt. Vor allem im Berlin der 1960er-Jahre, als die Stadt noch von einer rebellischen Szene geprägt ist, bieten Lichtspielhäuser für zwei Mark Eintritt einen ganzen Tag Wärme und Unterhaltung. Lüpertz entwickelt eine Liebe zu Western mit ihren glorifizierten Helden. Und er beginnt, Bilder in Serien zu malen. So wie sich Filme aus einzelnen, unmerklich variierten Fotos zusammensetzen, so reiht auch er Bild um Bild auf seiner Staffelei, analysiert Kort. Serien von Dachpfannen, von Geweihen, von Rückenakten, von Stahlhelmen entstehen.

Der Schwerpunkt der Schau liegt auf dem Zeitraum zwischen 1963 und 1980 sowie auf aktuellen Bildern ab dem Jahr 2000. Bestimmte Versatzstücke wiederholen sich durch die Jahrzehnte: beispielsweise die gedrehte Schnecke als Symbol der Unendlichkeit, wie sie der überzeugte Katholik Lüpertz 1973 im Triptychon "Apokalypse" malte. Und immer wieder fügt er den grünschwarzen Stahlhelm in kritischer Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte in seine Bilder ein. Zuweilen ist dieser Helm übergroß, sitzt auf den Schultern und verdeckt Kopf und Hals des Trägers komplett - er passt nicht auf den Mann, der ihn tragen muss. Lüpertz knüpft mit solchen Objekten im Bild an eine gegenständliche Malerei an, die er neo-expressionistisch einfärbt, um sie durch einen wilden Farbrausch abstrakt zu verfremden. Dann wieder übt er sich in einer figürlichen Malerei, stellt den Abschied des Orpheus von Eurydike dar, während kleine, verschwommen gemalte Seelen gen Himmel schweben. "Ich vermeide es, über den Tod nachzudenken", sagt der Meister - und doch stellt er auf einem Bild von 2010 ein schwarzes Boot dar, wie auf dem antiken Fluss der Unterwelt schwimmend und so menschenleer, als wartete es auf gerade Verstorbene.

Dominiert wird die Ausstellung von Arbeiten im übergroßen Format, die mehrere Quadratmeter Leinwand umfassen. Lüpertz spielt die Haupthalle voll aus, indem er beispielsweise ein neun Meter hohes Gemälde aufstellt, das erstmals in einem musealen Raum montiert werden kann: "Canyon - dithyrambisch" ist ein Werk von 1968 mit geometrischen, gestaffelten Formen, die entfernt an die Straßenschlucht einer Großstadt erinnern. Das Beispiel zeigt: Lüpertz bespielt die monumentalen Räume im Haus der Kunst, er setzt sein Pathos dieser Architektur entgegen, und es gelingt ihm, noch lauter zu sein als die Monumentalität dieses Baus aus der NS-Zeit.

ZUR PERSON

Der 1941 in Nordböhmen geborene Lüpertz studierte an der Werkkunstschule Krefeld, gründete 1964 eine Selbsthilfe-Galerie in Berlin und lehrte ab 1973 an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Dieser Stadt fühlt er sich so verbunden, dass er die dort im Bau befindliche U-Bahn mit dem Kunstprojekt „Genesis“ aus Keramikplatten beschenken will – ein nicht unumstrittenes Angebot. Für die Bamberger Elisabeth-Kirche gestaltet er Glasfenster – in dieser Woche wurde das erste enthüllt. Geprägt hat der Künstler Lüpertz aber vor allem die Kunstakademie Düsseldorf, die ihn einst als Studenten nach einem Streit exmatrikuliert hatte. In seiner über 20-jährigen Amtszeit als Rektor besetzte er offene Stellen mit international bekannten Kollegen wie A.R. Penck, Jannis Kounellis, Rosemarie Trockel, Jörg Immendorf und anderen. Heute lebt Lüpertz in Berlin, Karlsruhe, Düsseldorf und Florenz.  

Haus der Kunst, bis 26. Januar 2020, Mo bis So 10 Uhr bis 20 Uhr, Do 10 Uhr bis 22 Uhr.

Annette Krauß