"Heimat ist dort, wo ich angenommen werde"

02.03.2008 | Stand 03.12.2020, 6:05 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Mit einem Festgottesdienst feierte die Pfarrei St. Pius am Samstag ihr 50-jähriges Bestehen. Die Messe zelebrierte der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke zusammen mit mehreren Priestern.

"Eine Kirche in einem Brennpunkt muss selbst ein Brenn-Punkt sein", rief der Bischof in seiner Predigt in dem überfüllten Gotteshaus den Gläubigen zu. Er erinnerte an die Geschichte des 1958 geweihten Rundbaus, der nach dem Zweiten Weltkrieg für viele eine neue Heimat geworden sei. Waren es zunächst Heimatvertriebene und Arbeitssuchende, die ins Piusviertel gezogen waren, so kamen später Gastarbeiter, Spätaussiedler und und Asyl suchende. Heute sei das Viertel, das nach der Piuskirche benannt wurde, geprägt von starker Fluktuation. "Heimat ist dort, wo ich angenommen werde", betonte der Bischof. Die Piuskirche, der Rundbau des Architekten Josef Elfinger, stehe für die Einladung der Kirche an alle Sinn Suchenden, eine Heimat zu finden.

Das Piusviertel sei aber zugleich ein sozialer Brennpunkt geworden. Es gebe etablierte Bewohner, aber auch notleidende Menschen, und das sehr oft im Verborgenen, sagte Hanke. "Begegnen wir dem ganzen Christus", rief der Bischof den Gläubigen zu, denn man könne Christus nicht teilen in einen sozialen und einen kirchlichen. Die Kreisform der Piuskirche sei gleichsam ein Symbol dafür.

Der Eichstätter Bischof sprach in seiner Predigt auch vom Piusviertel als einem "Vielvölkerviertel". Hanke forderte alle Bewohner auf zu einem Leben in "versöhnter Vielfalt" auf. Ein Zeichen dafür seien die Fahnen in der Kirche. Neben Pfadfindern und Landsmannschaften trugen Jugendliche die Nationalfahnen ihrer Heimatländer, wie beispielsweise der Türkei, Griechenland, Portugal, Österreich und einiger Staaten des ehemaligen Ostblocks. Für die Stadt war OB Alfred Lehmann gekommen. Weitere Gäste waren die Niederbronner Schwestern, die seit Anfang an in der Gemeinde Dienst leisten, Vertreter der evangelischen, der orthodoxen und der freikirchlichen Gemeinden sowie mehrerer muslimischer Gemeinden aus dem Piusviertel.

Gestaltet wurde der Gottesdienst von den Piuschören, der Männerschola, dem Streichorchester sowie Maria Land und Andreas Resch an der Orgel sowie dem Trompeter Simon Schmidt.

Erinnerung an den Beginn

Bereits am Freitagabend hatten sich Mitglieder der Pfarrei St. Pius zu einem geselligen Abend getroffen, einer "Zeitreise ins Jahr 1958", also dem Jahr, in dem die Kirche geweiht wurde. Das überaus bunte Programm ließ keine Langeweile aufkommen. Zur Musik von Peter Kraus, alten Fotos und einer UFA-Wochenschau vom Dezember 1958 konnten die Besucher in zeitgenössischen Zeitschriften blättern und Erinnerungen austauschen.

Ungemein spannend und informativ waren die Schilderungen der Zeitzeugen. Maria Quass, eine Heimatvertriebene erinnerte an die Zeit, als sie in der Flandernkaserne mit 15 anderen Menschen ein Zimmer teilen musste. Als 1950 in der Schubertstraße das erste Haus errichtet wurde, sei es "weit und breit das einzige" gewesen. "Zum Einkaufen mussten wir in die Stadt laufen. Damals gab es noch kein Lebensmittelgeschäft", erzählte sie, wie damals noch allgemein vom Nordwesten die Rede gewesen sei.

Hans Fegert, Herausgeber mehrerer Bücher zur Ingolstädter Geschichte, lebte Anfang der 50er Jahre als Bub in einer alten Notbehausung auf dem ehemaligen Exerzierplatz (heute Audi-Gelände), wo es bis 1958 noch nicht einmal Strom gegeben habe. "Ich kann mich noch erinnern, wie an der Gaimersheimer Straße die Straßenäpfel direkt am Baum versteigert wurden", erzählte Fegert. Damals war die Straße noch nicht einmal geteert. Abgesehen von den ersten Häusern an der Spreti- und Eckstallerstraße, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts datieren, gab es laut Fegert im Bereich der Gaimersheimer Straße ein paar Bauernhöfe und sonst nur Felder.

Auf einer dieser Wiesen wurde die Piuskirche gebaut. Das Grundstück gehörte der Familie Kuttenreich, die bis Anfangt der 50er Jahre einen Hof an der Gymnasiumstraße besaß und im heutigen Piusviertel eine Wiese für die Pferde, den so genannten "Heissengarten". Heute steht dort die Piuskirche. Thomas Kuttenreich, Inhaber eines Lebensmittelgeschäfts, stiftete der Kirche später eine Glocke, die nach ihm Thomasglocke heißt.

Für den Bau der Kirche sammelten engagierte Gläubige buchstäblich jeden Pfennig, die sie kriegen konnten – zum Teil waren es Spenden von 20 Pfennig. Für eine Glocke hat es unmittelbar nach dem Bau aber nicht mehr gereicht. Bis ein eigenes Geläut gekauft wurde, behalf man sich mit einer Leihglocke aus Eichstätt. Wie Martin Frank erzählte, hatte die Kirche zu Beginn auch keine Orgel. Der ehemalige Religionslehrer spielte stattdessen auf einem Harmonium. Zu seiner großen Überraschung stand auf einmal das alte Instrument im Pfarrsaal, und der frühere Chorleiter und Organist griff gekonnt in die Tasten.

Peter Braun, der stellvertretende Stadtheimatpfleger und Mitarbeiter bei Architekt Elfinger, erläuterte den Rundbau der Kirche aus architektonischer Sicht. Schließlich plauderte auch Schwester Barbara von den Niederbronner Schwestern ein bisschen aus dem Nähkästchen. Sie war 1958 die erste Pfarrsekretärin von St. Pius.