Ingolstadt
Hat auch der Marktleiter zugestochen?

Mordprozess: Schwurgericht beschäftigt sich ausführlich mit Verletzungen des Angeklagten

08.05.2014 | Stand 02.12.2020, 22:43 Uhr

Die Böhmfelder Vorsitzende Inge Späth (rechts) verabschiedete die Geschäftsführerin der Sozialstation Gaimersheim, Monika Rohrhirsch, die nach 25 Jahren ihre Tätigkeit beendet. - Foto: nie

Ingolstadt/Pfaffenhofen (hl) Tag drei im Mordprozess um den Tod des Pfaffenhofener Getränkemarktleiters Dieter H. – und abermals haben sich die Richter der Schwurkammer am Ingolstädter Landgericht bis in feinste Details mit den am Tatort vorgefundenen Spuren, aber auch mit den Verletzungen beschäftigt, die der Angeklagte Stefan S. möglicherweise im Gerangel mit dem Opfer erlitten hatte. Die Anhörung einer Rechtsmedizinerin der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zu diesen Schnittverletzungen an den Händen des Beschuldigten geriet sehr ausführlich – abermals ein Zeichen für die Akribie, mit der dieses Tötungsdelikt juristisch aufgearbeitet wird.

Im Kern geht es dabei um die Frage, inwieweit auch der später durch mehrere Messerstiche in die Brust getötete Marktleiter zuvor selber mit dem fraglichen Messer auf seinen Kontrahenten losgegangen sein könnte. Die – allerdings lückenhaften – Angaben des Angeklagten zum Ablauf seines Kampfes mit dem Kaufmann geben hierfür Anhaltspunkte. Andererseits muss natürlich nach Möglichkeit auch geklärt werden, ob Stefan S. sich die Verletzungen an seinen Händen später zur Untermauerung etwaiger Schutzbehauptungen selbst zugefügt haben kann.

Will man den Ausführungen des Angeklagten folgen, dann hat er das Messer erst im Laufe des immer heftigeren Gerangels der beiden Männer an sich gebracht. Erst allmählich will er bei diesem Kampf realisiert haben, dass er sich an den Händen verletzt hatte. Später, als der Marktleiter offenbar schon tot oder zumindest sterbend im Gang lag, will er seine Wunden mit Verbandmaterial aus einem Erste-Hilfe-Kasten des Marktes versorgt haben. Tatsächlich fand die Spurensicherung hier später Blutspuren, die anhand einer DNA-Analyse dem mutmaßlichen Täter zuzuordnen waren.

Wieder daheim in München, will sich der Angeklagte auf Drängen seiner Mutter mit seinen Schnittwunden in ärztliche Behandlung begeben haben. Tatsächlich tauchte er noch am Abend des blutigen Geschehens gegen 22 Uhr in der Klinik in Neuperlach auf und ließ seine Verletzungen reinigen und erstmals fachlich verbinden. Der behandelnde Arzt sagte gestern als Zeuge aus. Stefan S. habe am kleinen Finger und am Ringfinger der rechten Hand tiefe Schnittwunden (bis auf die Knochen) gehabt, er habe aber „voll orientiert und relativ gelassen“ gewirkt.

Zur Erklärung seiner Wunden habe der jetzige Angeklagte berichtet, sich tags zuvor beim Transport eines Kühlschranks geschnitten zu haben. Wegen der tiefen Einschnitte wurde dem Verletzten geraten, einen Handchirurgen aufzusuchen, was er tags darauf auch im Klinikum Großhadern tat. Die beiden Klinikkontakte hatten im Verbund mit anderen Indizien kurz darauf auch zur Festnahme von Stefan S. geführt, weil die Polizei bei ihren Ermittlungen auch solche Merkmale in ihr Fahndungsraster aufgenommen hatte.

Ob der Beschuldigte (er ist Rechtshänder) denn mit derlei tiefen Schnittwunden überhaupt noch zupacken konnte, wollte Staatsanwalt Jürgen Staudt von dem Mediziner wissen. Der glaubt, dass der Tatverdächtige zwar noch zugreifen konnte – aber nur „unter starken Schmerzen und mit verminderter Kraft“. Verteidiger Peter Gietl kommt es darauf an, ob die Schnittverletzungen seines Mandanten auch Zeichen für mehrfache Abwehr von Messerstichen sein können. Die eingangs erwähnte Rechtsmedizinerin der LMU mochte das auf ausdrückliche Nachfrage hin nicht vollends ausschließen.

Ein wichtiger Faktor in der Beweissammlung des Schwurgerichts ist auch der Todeszeitpunkt des Opfers. Weil Dieter H.s Leiche erst einen Tag nach der Tat entdeckt wurde, gestaltete sich eine exakte Berechnung schwierig. Eine weitere Rechtsmedizinerin der LMU, die von der Kripo bereits am Tatort hinzugezogen worden war, kam auf ein Zeitfenster von etwa 18 bis 22 Uhr am Samstag, 13. Juli 2013. Am wahrscheinlichsten sei wohl ein Zeitpunkt kurz nach 18 Uhr, also unmittelbar nach Schließung des Getränkemarktes.