Roth
Happy End einer Krimi-Nacht

Public Viewing in Roth erfordert Nerven, Zeit und warme Decken

03.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:36 Uhr

Jubel in Roth: 700 Fans freuen sich beim Public Viewing in Roth über den ersten Deutschen Sieg gegen Italien bei einer Welt- oder Europameisterschaft. Doch der Elfmeter-Krimi hat viel Nerven gekostet. - Foto: Tschapka

Roth (HK) Wer die EM-Viertelfinalbegegnung zwischen Deutschland und Italien am Samstag beim Public Viewing auf dem Gelände des Rother Kia-Autohauses erleben wollte, der brauchte dreierlei: gute Nerven, viel Zeit und vor allem warme Klamotten.

Die Temperaturen von etwa 14 Grad lassen nicht gerade sommerliche Gefühle aufkommen, aber die Aussicht auf ein spannendes Spiel lockt über 700 Besucher in das Industriegebiet. Nicht so viel wie beim letzten Spiel der deutschen Mannschaft, bei dem Jochen Scharf und sein Team rund 1000 Gäste begrüßen durften, aber angesichts des Wetters zeigt sich der Veranstalter mit der Resonanz überaus zufrieden. Mit Deutschlandfahnen und Blumenketten in Schwarz-Rot-Gold verteilen sich die Besucher auf dem großen Gelände, ohne zu wissen, was für ein Fußballkrimi sie bis spät in die Nacht erwarten wird. Bei der Nationalhymne erheben sich einige Fans von ihren Plätzen, andere holen sich schnell noch ein Bier. Dann geht es los.

Der erste Schock schon in der 14. Minute: Sami Khedira muss verletzungsbedingt raus. Ein schlechtes Omen? Nein, denn knapp eine Viertelstunde später springen alle begeistert in die Höhe. Tooor für Deutschland durch Bastian Schweinsteiger! Was? Gilt nicht? So ein Mist! Also heißt es weiter zittern, aber Jogis Elf macht zumindest nicht den Eindruck, als würde sie sich von dem angeblichen Italien-Fluch beeindrucken lassen. Beide Mannschaften schenken sich nichts, aber bis zur Halbzeit fällt kein Tor.

Spätestens in der Pause werden die mitgebrachten Decken ausgepackt und sich darin eingewickelt, die Temperaturen fallen weiter. Einer der Fans wickelt sich sogar in seine Deutschlandfahne ein und läuft als schwarz-rot-goldene Litfaßsäule durch die Gegend. Ob das wirklich etwas gegen die Kälte bringt? Einige Kinder haben eine bessere Idee, nämlich eine Runde Fußball. Laut scheppernd schießen sie ihren Ball immer wieder gegen eine als Tor auserkorene Werbefläche, aber aufgrund der lauten Musik, die aus den Lautsprechern wummert, während Mehmet Scholl auf der großen Videoleinwand stumm die Lippen bewegt, fällt das niemandem wirklich auf.

Dann kann es weitergehen und die Blicke richten sich wieder gebannt auf die Leinwand und das Geschehen in Bordeaux. In der 63. Minute ist es endlich so weit: Tor für Deutschland! Mesut Özil versenkt das Ding im kurzen Eck, und der ganze Parkplatz ist aus dem Häuschen. Die Menschen fallen sich um den Hals, und manch einer feiert innerlich schon den Einzug ins Halbfinale. Doch was ist das? Nach einem Handspiel von Boateng im Strafraum entscheidet der Unparteiische auf Elfmeter für die Squadra Azzurra - und der sitzt. 1:1, alles ist wieder offen. Und so soll es auch bis zum Ende der regulären Spielzeit bleiben.

Währenddessen breitet sich die Nacht über dem Gelände des Autohauses aus, doch nach Hause gehen will jetzt noch niemand. Alle wollen wissen, wird es einer der beiden Mannschaften noch schaffen, in der Verlängerung die Entscheidung herbeizuführen? Nein, es bleibt beim Unentschieden, und die Anspannung bei den Public Viewern ist kaum noch zu steigern.

Aber noch weiß niemand, was für eine Nervenbelastung das nun folgende endlos lange Elfmeterschießen zwischen Deutschland und Italien werden wird, denn man bekommt kaum die Gelegenheit zum Durchschnaufen: Insigne trifft, Kroos trifft, Zaza verschießt, Müller verschießt, Barzagli trifft. Ein Aufschrei schließlich, als auch Özil den Ball gegen den Pfosten haut. Aus der Traum? Nein, auch Italiens Pellè verschießt den nächsten Elfer, und das Ganze zieht sich weiter in die Länge. Schweinsteiger verschießt, Neuer hält, und schließlich: Hector trifft! Aus! Vorbei! Deutschland ist im Halbfinale. Jetzt hält es niemanden mehr auf den Bänken, im Gegenteil, viele Bänke fallen laut scheppernd um, als die Fußballfans begeistert aufspringen, doch dieser Krach geht unter im unbeschreiblichen Jubel, der sich nun breitmacht. Erlösung, bis zum Donnerstag, wenn Deutschland im Halbfinale spielt und in Roth wieder die Fans bangen.