Hilpoltstein
Hans Seidl trauert um Schulseelsorge

Stelle des katholischen Seelsorgers am Hilpoltsteiner Gymnasium wird nicht neu besetzt - Bistum will sich neu strukturieren

27.01.2022 | Stand 25.10.2023, 11:16 Uhr
Schulseelsorger Hans Seidl an seiner alten Wirkungsstätte, dem Gymnasium Hilpoltstein. Der 64-Jährige geht in Rente, die Diözese Eichstätt wird seine Stelle nicht wieder besetzen. −Foto: Kofer

Hilpoltstein/Thalmässing - "Ich bin Rentner", sagt Hans Seidl, 64. Aber eigentlich stimmt das nicht ganz. Der katholische Religionslehrer und Schulseelsorger geht erst im September in den Ruhestand, derzeit übt er dafür im Sabbatjahr. Seine Vollzeitstelle als Schulseelsorger wird von der Diözese Eichstätt aber nicht mehr besetzt, was Seidl sehr bedauert.

Hilpoltstein/Thalmässing - "Ich bin Rentner", sagt Hans Seidl, 64. Aber eigentlich stimmt das nicht ganz. Der katholische Religionslehrer und Schulseelsorger geht erst im September in den Ruhestand, derzeit übt er dafür im Sabbatjahr. Seine Vollzeitstelle als Schulseelsorger wird von der Diözese Eichstätt aber nicht mehr besetzt, was Seidl sehr bedauert. "Ich kann nicht verstehen, dass die Kirche bei so einem Projekt nicht mitmischen will, weil es so genial ist. Es ist Seelsorge an jungen Menschen", sagt Seidl enttäuscht.

"Ein Verlust, der nicht direkt zu ersetzen ist", sagt Schulleiterin Anja Hilbert. "Das ist superwichtige Arbeit." Gerade in der Corona-Pandemie mit allen ihren Einschränkungen und Nebenwirkungen für Kinder und Jugendliche sei der Bedarf sehr groß. Daran sei auch das Gymnasium nicht ganz unschuldig. Die Anforderungen seien gestiegen, weil gleichzeitig Lücken aus den Zeiten des Lockdowns geschlossen werden müssten und neuer Stoff dazukommt. Deswegen sei es für die Schülerinnen und Schüler wichtig, einen Ansprechpartner für ihre Probleme zu haben.

"Ich habe keine Leute bekehrt"

Seit September ist das vor allem Schulsozialarbeiterin Annika Biel, die vom Landkreis Roth finanziert wird. Daneben gibt es noch die Schulpsychologin Sonja Stadler-Eggel und Claudia Kühnemund, die sich in der Schulseelsorge ausbilden lässt und so etwas wie Seidls Nachfolgerin werden könnte. Allerdings muss die Schule Kühnemunds geringes Stundenkontingent selbst finanzieren. "Derzeit arbeitet sie freiwillig. Sie macht das für Gotteslohn", sagt Schulleiterin Hilbert.

"Es ist nicht so, dass das Bistum Eichstätt sein Engagement in der Schulpastoral am Gymnasium in Hilpoltstein eingestellt hat", schreibt Vitus Lehenmeier, Leiter des Hauptamtes Schule der Diözese Eichstätt, in einer Stellungnahme. Ein Team um die Schulseelsorgerin, die bereits im Bereich Schulpastoral qualifiziert sei, führe die Arbeit fort. Eine finanzielle Beteiligung durch die Kirche erfolge "im Rahmen der Umstrukturierungen", die derzeit noch nicht abgeschlossen seien. "Hintergrund sind Strukturprozesse, die zum Ziel haben, die Schulpastoral im Bistum Eichstätt zukunftsfähig zu machen und breiter aufzustellen", schreibt Lehenmeier.

Sie sei froh um die verschiedenen Anlaufstellen, auch wenn sie wie ein Flickenteppich der Unterstützung wirken, sagt Schulleiterin Hilbert. "In der Beratung gibt es keinen Unterschied", sagt Seidl, "ich bin ja nicht als christlicher Missionar unterwegs. Ich habe keine Leute bekehrt." Ihn freue, dass der Landkreis eine Sozialpädagogin finanziert. "Es beruhigt mich, dass hier weiter Leute sind, die helfen." Aber natürlich habe sein Engagement als Schulseelsorger mit seiner religiösen Haltung zu tun. Und Gottesdienste, Andachten oder Besinnungstage "sind nicht der Job einer Schulsozialarbeiterin".

Auch die Schulband nicht, die Seidl, nebenbei Sänger und Gitarrist der Gruppe BlackByrd, betreute. Ebenso wie die Thalmässinger Kurzfilmtage, die ohne die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums nie zu stemmen gewesen wären.

Nachfolger übernehmenzum Glück Aufgaben

Für Schulband und Kurzfilmtage haben sich zum Glück Nachfolger gefunden. Auch für andere Angebote, wie Besinnungstage, haben sich Lehrerinnen und Lehrer gefunden, die Seidls Angebot weiterführen wollen. Darüber ist der sehr froh: "Das ist alles freiwillig. Es muss ja keiner machen."

Dass Hans Seidl in der Schule tief verwurzelt ist, merkt man auch an anderer Stelle. Wenn man mit ihm durch die Gänge seiner alten Wirkungsstätte geht, wird er immer wieder aufgehalten, wird freundlich begrüßt von früheren Kollegen und Jugendlichen, die ihn alle noch gut kennen. Im Schulcomputer ist seine Telefonnummer gespeichert. Kein Wunder, wirkte Seidl doch 25 Jahre hier. Als Religionslehrer, aber vor allem als Seelsorger. Sein Traumjob.

"Ich wollte nie Lehrer werden", sagt Seidl. Dazu war seine eigene Schulzeit am Gymnasium in Marktredwitz zu schrecklich. "Eine üble Atmosphäre, sehr autoritär", erinnert sich Seidl, der einräumt, sicher kein Musterschüler gewesen zu sein. Vor versammelter Mannschaft habe ihn ein Lehrer aufgefordert, zu gehen und sich eine Lehrstelle zu suchen. "Meine Noten waren unterirdisch", sagt Seidl. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für einen Schulseelsorger. "Ich habe immer ein Herz gehabt, für die, die es nicht gepackt haben."

"Freiwillig hätte ich das nie ausprobiert"

Über Umwege, Fachoberschule und Studium wurde Seidl dann plötzlich doch Lehrer. Das war 1986, es herrschte große Arbeitslosigkeit und bei Regens Wagner in Zell brauchten sie Hilfe. Seidl stellte sich vor und fragte, auf welcher Gruppe er denn arbeiten solle, aber in Zell suchten sie einen Religionslehrer. "Jetzt bloß nichts Falsches sagen", dachte sich der junge Familienvater. Er brauchte das Geld und nahm an. "Freiwillig hätte ich das nie ausprobiert." Der Anfang als Lehrer war sehr mühsam. Erst nach zwei Jahren sah Seidl "Licht am Ende des Tunnels".

Ab 1993 begann dann Seidls Arbeit am Gymnasium, vier Stunden pro Woche als Religionslehrer. "Eine völlig neue Erfahrung. Eine Menge an Schülern, eine Menge an Stoff." Vier Jahre später wechselte er ganz aufs Gymnasium, da schon als Seelsorger. 300 bis 350 Beratungsgespräche führt er jedes Jahr, bis zu zwölf in der Woche. Die Palette der Themen ist groß: Prüfungsangst, Schulangst, Trennung der Eltern, Alkoholkrankheit von Vater oder Mutter, Selbstverletzung oder Selbstmordgedanken. "Es sind keine banalen Sachen", sagt Seidl.

Selbstmordgedanken dulden keinen Aufschub

Und alle fordern den Seelsorger auf andere Art. "Äußert jemand Suizidgedanken, duldet das keinen Aufschub", sagt Seidl. Man müsse ständig mit dem Jugendlichen in Kontakt bleiben. Aber niemand wollte sich wirklich umbringen, sie wollten nur nicht so weiterleben wie bisher, erklärt Seidl. "Da hat sich ein junger Mensch in eine Überlastungssituation manövriert, in der er keinen anderen Ausweg sieht." Da müsse man ganz behutsam gemeinsam nach Alternativen suchen. Er habe Glück gehabt, sagt Seidl, dass es nie zum Äußersten gekommen sei.

Und es steht auch nicht zu befürchten. Denn es hat sich viel verändert in den 25 Jahren, in denen Seidl an der Schule ist. "Bis 1990 wurde über Selbstmord im Gymnasium nicht gesprochen. Das Thema wurde unter den Teppich gekehrt." Der Unterrichtsstoff sei unantastbar gewesen, "die absolute Nummer eins". Das sei jetzt völlig anders. "Wenn ein Kind in einer persönlich schwierigen Lage ist, dann sehen das die Lehrerinnen und Lehrer." Und nutzen ihren Spielraum.

Wie bei einer Abiturientin, die schlechte Mathenoten hatte, im Unterricht unkonzentriert war und beinahe einschlief. Seidl bat um eine Extraabfrage, um die Noten zu verbessern. Der Lehrer lehnte ab. Die Schülerin zeige kein Interesse . Als Seidl ihm erklärte, dass die Schülerin alleine lebt und abends in der Kneipe jobben muss, um ihren Unterhalt zu bestreiten, war der Lehrer total verblüfft: "Warum sagt mir das keiner?" Nun, Seidl hat es ihm gesagt.

HK

Robert KoferRobert