Hanf - eine unterschätzte Allround-Pflanze

09.07.2020 | Stand 23.09.2023, 12:50 Uhr
Simone Graeff-Hönninger. −Foto: privat

Simone Graeff-Hönninger kennt sich aus mit Hanf. Die Professorin der Universität Hohenheim ist Teil eines internationalen Forschungsnetzwerks rund um unberauschendes Cannabis als Medizin. Die Pflanze ist längst mehr als eine Droge und wird besonders von Landwirten und Forschern nicht nur für ihre Vielseitigkeit, sondern auch für ihre Nachhaltigkeit geschätzt.

Frau Graeff-Hönninger, was ist aus Ihrer Sicht das Besondere am Hanf?
Simone Graeff-Hönninger: Das Faszinierende ist, dass es eine „multi-purpose-Pflanze“ ist. Sie kann extrem viel und bietet dadurch auch sehr, sehr viele Anwendungsmöglichkeiten. Von der Forschungsseite her fasziniert mich, dass diese Pflanze jahrzehntelang nicht beforscht wurde, obwohl sie schon vor Tausenden Jahren in vielen Kulturen genutzt wurde. Das ist das Spannende an dieser Pflanze. Sie ist eine Allround-Pflanze, die aber leider aufgrund des jahrzehntelangen Verbotes  in ihrer Nutzung völlig unterschätzt wurde. 

Seit wann forschen Sie zu diesem Thema?
Graef-Hönninger: Forschung zum Hanf läuft am Institut bereits seit 20 Jahren, da gab es diverse Arbeiten – allerdings fokussiert auf Industriehanf. Zum Medizinalhanf haben wir unsere Forschung vor  fünf Jahren gestartet  und diese kontinuierlich weiter aufgebaut. Im Zuge dessen haben wir auch vor eineinhalb Jahren das internationale Forschungsnetzwerk Cannabis-Net in Zusammenarbeit mit Kanada gestartet.

Welche Ziele verfolgt dieses Netzwerk?
Graef-Hönninger: Das Ziel ist ganz klar, die Forschungslücke beim Medizinalhanf zu schließen.  Seit März 2017 können in Deutschland medizinische Produkte die Stoffe aus der Cannabispflanze beinhalten, sowie Cannabisblüten als Medikament ärztlich verordnet werden. Daher ist unser Bestreben, die Industrie zu befähigen, Lücken im medizinischen, kosmetischen oder Food-Bereich bei Cannabis zu schließen –  sei es durch die Entwicklung von Anbausystemen,   von Maschinen oder von Produkten. Das Netzwerk wird gefördert vom Bundeswirtschaftsministerium zur Mittelstandsförderung  und unterstützt insbesondere mittelständische Unternehmen in der Entwicklung von Technologien, Verfahren und  Produkten.

Wer ist an diesem Projekt noch  beteiligt?
Graef-Hönninger: Das sind verschiedene Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette Cannabis. Das fängt an bei Züchtungsunternehmen, geht über die Gewächshaustechnologien,  Ernte- und Trocknungstechnologie – und endet bei  den  Aufbereitungstechnologien sowie der Entwicklung gezielter Endprodukte. Der Forschungsschwerpunkt  liegt auf dem medizinischen Nutzen von Cannabis ohne den berauschenden Wirkstoff THC.

Könnte die Pflanze als natürliches Produkt chemische Arzneimittel ersetzen? 
Graeff-Hönninger: Das ist das Ziel. Aktuell sind Patienten, die Cannabis bekommen, austherapiert, sprich es gibt keine Medikamente mehr, die ihr Leiden lindern könnten. Daher haben diese Patienten die Option, dass ihnen Cannabis zur Linderung verschrieben wird.  In diesem Fall sprechen wir in der Regel  von THC-reichem Cannabis. Aber da Cannabis noch viele andere Inhaltsstoffe hat, denen eine medizinische Wirkung nachgesagt wird, wie zum Beispiel CBD und  CBG, kommen hier auch andere Anwendungen ohne THC auf. Wenn Sie sich zum Beispiel den Kosmetikbereich ansehen: CBD wird neben der entspannenden  auch eine entzündungshemmende Wirkung nachgesagt. Wenn ich  zum Beispiel  unter einer Hautkrankheit leide, könnte diese Entzündung mit einer CBD-Creme gelindert werden. Hier ist noch einiges in der Forschung zu leisten, um das Wirkspektrum für unterschiedliche Anwendungen zu erschließen.  Oder wenn Sie an Epilepsie bei Kindern denken: Das ist auch ein klassisches Anwendungsfeld für CBD. Bevor man Kindern Beruhigungsmittel oder Opiate gibt, von denen sie abhängig werden können, wäre die medizinische Behandlung mit Cannabis eine sanftere Methode. Auch an der Stelle muss noch intensiv geforscht werden. 

Wenn Hanf helfen kann, warum lag die Forschung dann so lange auf Eis? Weil man auch Drogen aus der Pflanze schöpfen kann?
Graeff-Hönninger: Die Forschung wird immer ein Stück weit getrieben von der Nachfrage und damit der Verfügbarkeit von Fördergeldern und ist im Falle von Cannabis nicht ganz so einfach. Hier müssen zahlreiche Auflagen und Richtlinien berücksichtigt werden und man benötigt eine Genehmigung, um an Hanf forschen zu können.  

Hatten Politik und Gesellschaft ein falsches Bild vom Hanf?
Graeff-Hönninger: Mit Sicherheit ist die erste Assoziation zu Hanf immer der Bezug zur Nutzung als Droge und daran hat sich  noch nicht so viel geändert.  

Dennoch ändert sich etwas: In Augsburg, München und Ingolstadt haben Hanf-Bioläden eröffnet. Wie steht es um die Nachhaltigkeit dieser Pflanze?
Graeff-Hönninger: Hanf ist gerade unter dem Thema „Green Deal“ der EU  eine der  gehypten Pflanzen. Die Vorteile liegen darin, dass sie die Pflanze ganzheitlich verwerten können – von den Blättern,  Blüten und Körner über das Öl bis hin zu den Stängeln, die, wenn ich sie nicht als Fasern nutze, als Einstreu etwa bei Pferden extrem nachgefragt werden. Außerdem ist Hanf nicht gerade die anspruchsvollste Pflanze, muss nicht viel gedüngt werden, wurzelt tief und  unterdrückt Unkräuter. Man muss also nicht groß mit Pestiziden herangehen. Vom Anbau her ist Hanf eine tolle Pflanze, weshalb sie jetzt nicht umsonst in den ganzen Klimaschutzzielen diskutiert wird.

Gibt es Bereiche, die der Hanf revolutionieren könnte?
Graef-Hönninger: Kanada hat zum Beispiel den Nahrungsmittel- und Getränkebereich komplett revolutioniert. Da finden Sie jetzt Hanfbier,  Hanf-Wellness-Drinks, sie haben Hanf  in zahlreichen Riegeln oder in Schokolade, um auch den Wellness-Gedanken zu fördern. Auch in der EU diskutiert man entsprechende Produkte, diese fallen aber derzeit noch unter den Aspekt Novel Food und benötigen eine extra Zulassung. 

In welchen Branchen kann der Hanf noch eingesetzt werden?
Graef-Hönninger: Hanf mit seinen Fasern als Bau- und Dämmstoff hat  durchaus seine Berechtigung.  Die Autoindustrie hat früher viele Dämmstoffe auf Hanfbasis hergestellt. Die Frage ist aber immer: Gibt es ein Produkt, das kostengünstiger herzustellen ist?

Die billige Variante ist  nicht immer die umweltfreundlichere.
Graef-Hönninger: Genau. Da muss ein Umdenken stattfinden. Wenn es hin zur Nachhaltigkeit geht, kann man auch durch politische Rahmenbedingungen Richtungen vorgeben und fördern. Das würde den Hanf sicher im Anbau fördern. 

Es kursieren etliche Informationen zum Hanf. Eine  ist, dass Hanföl Autos antreiben könnte. Ist Hanf die Pflanze der Zukunft?
Graef-Hönninger: Es ist nicht die Wunderpflanze, die alles kann, auch wenn das Öl eine Ausgangsbasis für Kraftstoffe liefert. Vielleicht muss man fragen: Wo macht was Sinn und wo nicht?  Das Potenzial, das die Pflanze hat, ist so vielfältig, dass es schade ist, dass sie so wenig Nutzung erfährt. DK

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Benedikt Schimmer