Ingolstadt
Handschellen für den Zeugen

Unerwartete Wendung in ungewöhnlichem Drogenprozess

18.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:57 Uhr

Ingolstadt (DK) Was in den Akten steht, ist schön und gut.

Wie schnell sich aber dann reale Verhandlungen drehen können, das zeigte sich jetzt wieder am Amtsgericht in Ingolstadt bei einem Drogenprozess. Denn statt dem Angeklagten wanderte an diesem Tag ein Zeuge in Handschellen aus dem Gerichtssaal.

Der 36-Jährige war eigentlich nur Zeuge, redete sich aber um Kopf und Kragen, als er seine ursprüngliche und bestens dokumentierte Aussage gegenüber der Polizei widerrief. Trotz der eindringlichen Mahnungen von Richter Michael Fein und Staatsanwältin Verena März über die rechtlichen Konsequenzen und mehreren Denkminuten blieb er bei seiner neuen Version. Die Vertreterin der Strafverfolgungsbehörde erklärte ihm daraufhin die vorläufige Festnahme und übergab den Zeugen in die Obhut einer herbeigerufenen Polizeistreife.

Der 36-Jährige spielt eine zentrale Rolle in dem Drogenprozess, da er Hauptbelastungszeuge ist. Zumindest bei der Polizei gab er noch an, dass er zwischen Mitte 2015 und Ende 2016 etwa ein halbes Dutzend Mal Drogen von dem Angeklagten gekauft habe. Es sollen jeweils Chargen mit 16 oder 24 Gramm Marihuana gewesen sein, die für 200 beziehungsweise 300 Euro den illegalen Besitzer wechselten.

Davon wollte der mutmaßliche Käufer aber nun nichts mehr wissen. Er erklärte: Nicht beim Angeklagten, sondern bei dessen Bruder gekauft zu haben. Und das auch nur ein einziges Mal.

Wie denn nun diese erste Aussage bei den Drogenfahndern der Ingolstädter Kripo zustande gekommen sei, die ihn immerhin mehr als zwei Stunden vernommen haben und 13 Seiten protokollierten. Das interessierte das Gericht natürlich sehr. Er sei damals in Eile gewesen und wollte sich um sein krankes Kind kümmern, das Betreuung brauche, erzählte der 36-Jährige. Er habe Angst gehabt und den Polizisten "gesagt, was die hören wollten".

Das klang für das Gericht schon sehr nach Schutzbehauptungen und vor allem danach, den Angeklagten - warum auch immer - zu entlasten. Zwei Stunden in Eile. Vielleicht entsprechend nervös. An einen solchen Gemütszustand konnte sich der vernehmende Beamte der Kriminalpolizei nicht erinnern: "Er hat ruhig gewirkt. " Und auch die Dolmetscherin, die damals wie jetzt für den Lateinamerikaner übersetzte, konnte sich an nichts Gegenteiliges erinnern, als sie schnell in den Zeugenstand berufen wurde. Somit gehen Gericht und Staatsanwaltschaft stark von einer uneidlichen Falschaussage bei dem Käufer aus.

Aufgrund des Zwischenfalls mit dem mutmaßlich lügenden Zeugen geriet ein bisschen in den Hintergrund, dass der Fall an sich einige kuriose Aspekte bietet. Dem Angeklagten, einem 29-jährigen Koch, werden nicht nur die kleineren Dealereien vorgeworfen. Der Kern der Anklage ist dramatischer: Ihm sollen auch 18 Gramm Haschisch und vor allem rund 300 Gramm Marihuana gehören, die in einer Stofftasche im Lichtschacht einer Innenstadttiefgarage deponiert waren. Gefunden hat sie dort der Hausverwalter des Objekts, der die verpackte Ware ("Da purzelten uns eingeschweißte Dinge entgegen") pflichtbewusst zur Polizei brachte. Und als der Hausverwalter bald darauf in die Tiefgarage zurückkehrte, sei dort ein ihm bekannter Hausbewohner aufgetaucht. Ihm kam dabei seltsam vor: "Die meisten Leute da unten gehen zielstrebig, er ist dagegen so schauend herumgestanden. " Der Suchende habe ihn angesprochen: "Ich meine, er hätte nach einer Tasche oder Tüte gefragt", erinnerte sich der Verwalter. Bei dem Frager habe es sich um den Angeklagten gehandelt. Einen Schlüssel für die Tiefgarage hätten nur Bewohner.

Zu den Vorwürfen allerdings werde sich sein Mandant "zunächst" nicht äußern, hatte Verteidiger Sebastian Knott eingangs der Verhandlung schon erklärt. Dabei blieb es auch, obwohl Richter Fein deutlich anmerkte: "Die Beweislage ist schon recht gut. " Es könne auch "eine Drei" bei der zu erwarteten Strafe davor vorstehen, was die Zahl der Jahre hinter Gittern betrifft.

Das waren aber Worte, die vor der Wendung durch die mutmaßlich falsche Aussage des Drogenkäufers fielen. Wie es danach nun weitergeht, wird sich am morgigen Freitag im Fortsetzungstermin zeigen. Das Gericht wird den 36-jährigen Zeugen noch einmal anhören.

Christian Rehberger