Ingolstadt
Haftstrafe ohne Bewährung?

Lehmann-Prozess: Richter gibt zum Ende der Beweisaufnahme klaren Hinweis an den Angeklagten

24.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:26 Uhr
Wegen Bestechlichkeit und Vorteilsannahme angeklagt: Alt-Oberbürgermeister Alfred Lehmann. −Foto: DK-Archiv

Ingolstadt (DK) Im Bestechungsprozess gegen den Altoberbürgermeister Alfred Lehmann am Ingolstädter Landgericht rückt eine Verurteilung wegen Bestechlichkeit offenbar immer näher.

Der Vorsitzende der Großen Strafkammer, Richter Jochen Bösl, hat am 19. Verhandlungstag  zum Ende der Beweisaufnahme einen klaren Hinweis an den Angeklagten gegeben: Für den Fall, dass kein strafmilderndes Geständnis vorliege, stehe bei einer Verurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren im Raum. Diese wäre – auch, wenn das der Richter nicht explizit erwähnt hat –  zwangsläufig ohne Bewährung. Das heißt: Alfred Lehmann müsste ins Gefängnis.
Viele Male hat der 69-Jährige, von 2002 bis 2014 Rathauschef in Ingolstadt, vor Gericht seine Unschuld beteuert. Gestern, nach der vorläufigen Bewertung durch Richter Bösl, blieb er diesbezüglich eher schweigsam. Er antwortete am Ende der Beweisaufnahme zwar ausführlich und offen zu seinen persönlichen Verhältnissen, erzählte, dass er eigentlich nie krank  und deshalb sehr geschockt gewesen sei, als er kurz nach seiner Pensionierung wegen einer lebensgefährlichen Kopfoperation ins Krankenhaus musste. Später, als die Ermittlungen bereits lange liefen, habe er sich wegen einer Erkrankung an der Bauchspeicheldrüse erneut für mehrere Wochen einer stationären Behandlung unterziehen müssen. „Ich habe keine Alkoholprobleme und noch nie Drogen genommen“, sagte Lehmann dem Richter gleich selbst, nachdem dieser zuvor dem ebenfalls angeklagten Bauträger aus dem Landkreis Pfaffenhofen diese Fragen – wie in einem solchen Verfahren üblich – gestellt hatte. Auch seinen beruflichen Lebensweg schilderte der in Quickborn geborene Lehmann, den es Ende der 1970er Jahre  nach Ingolstadt zog. Zunächst leitete er 13 Jahre das Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer, bevor er als Geschäftsführer der Handwerkskammer nach München wechselte. Nachdem er vom damaligen OB Peter Schnell angesprochen worden sei, kam er nach Ingolstadt zurück als Wirtschaftsreferent. 2002 wurde er  zum OB gewählt.
Seine Wirtschaftskompetenz könnte  jetzt zum Bumerang werden.  Der Immobiliensachverständige aus München, Peter Roßbach, hatte  den Preis für die Privatwohnung des 69-Jährigen auf dem Gelände des früheren Krankenhauses mit einer Toleranzspanne von 20 bis 30 Prozent bewertet. Gestern  fragte Richter Bösl den Sachverständigen,  ob eine solche Spanne auch  für seine Bewertung im Komplex Hildegard-Knef-Straße gelte. In jenem ehemaligen Kasernengebäude, das die Stadttochter IFG an ein Bauunternehmer-Ehepaar   verkauft hatte, hatten Lehmann und sein mittlerweile verstorbener Vater insgesamt 16 Studentenappartements gekauft. Der Gutachter hatte den Vergleichswert für die Wohnungen  an einem früheren Verhandlungstag mit rund 1,1 Millionen Euro angegeben. Lehmann hat jedoch einschließlich  420 000 Euro fix vereinbarter Ausbaukosten für die 16 Wohneinheiten nur 650 000 Euro bezahlt.  Der Preis  für den entkernten Rohbau  sei absolut marktüblich, sagte der Gutachter gestern erneut. Die bezahlten Ausbaukosten lägen jedoch „weit unter dem marktüblichen Preis“. Und, im Gegensatz zu seiner früheren Aussage, meinte Roßbach gestern, dies hätte Lehmann „ganz klar erkennen können“. 
In seiner  vorläufigen Bewertung ging Bösl, was die sogenannte Unrechtsvereinbarung anbelangt, die Lehmann laut Anklage Anfang 2011 mit dem Investoren-Ehepaar getroffen haben soll, wohl eher von einem wohlwollenden Verhalten statt von Bestechlichkeit aus. Der Richter schlug jedenfalls vor, diesen Punkt als Vorteilsannahme anstelle von Bestechlichkeit zu bewerten, was strafrechtlich weniger gravierend sei.  In seinem späteren Beschluss   war davon aber nicht mehr die Rede.
 Bestechlichkeit zieht der Richter allerdings beim anderen Anklagepunkt in Betracht, der die vergünstigte Luxuswohnung Lehmanns  anbelangt – in Verbindung mit der Vergabe beim Verkauf des Krankenhausareals und eine nachträglich geänderte Geschossflächenzahl, die dem Bauträger eine Nachzahlung von 650 000 Euro erspart haben soll. An der  Absprache, die zwischen  März 2014 und   März 2015   erfolgt sein soll, könnten neben Lehmann und dem angeklagten Bauträger auch ein bereits verstorbener leitender Mitarbeiter der Baufirma beteiligt gewesen sein. Als Dank für seinen Einsatz bei der Erhöhung der Geschossflächenzahl soll vereinbart worden sein, dass Lehmann  den Ausbau der Wohnung zum Pauschalpreis von 56 000 Euro bekommt. Dass er später deutlich mehr bezahlt hat, spielt offenbar eine untergeordnete Rolle. Die Kammer sieht in der Angelegenheit Bestechlichkeit und zieht eine Einziehung des Differenzbetrags in Betracht, die Anklage auf Untreue wurde fallengelassen. Das Einziehungsverfahren gegenüber dem Bauträger wurde vom Verfahren Lehmann abgetrennt. Es gilt nun als gesondertes Verfahren.
Am Dienstag um 9.15 Uhr geht es weiter mit den Plädoyers. Am Freitag in einer Woche soll das Urteil fallen.