Ingolstadt
Gute Tipps aus der Vergangenheit

Die erste bekannte Grundordnung des Stadtrats ist 450 Jahre alt – manche Regeln sind noch immer aktuell

14.01.2013 | Stand 03.12.2020, 0:37 Uhr

Wie in Stein gemeißelt: Bis in das Jahr 1960 tagte der Stadtrat – das Bild entstand 1955 – im Historischen Sitzungssaal des Alten Rathauses. An der Wand neben der Türe ist die Steintafel zu erkennen, auf der die Gremiumsmitglieder ermahnt werden, sich redlich zu verhalten, im Sinne der Allgemeinheit zu entscheiden und fair miteinander umzugehen - Foto: Archiv

Ingolstadt (DK) Zwei Steintafeln zieren den Historischen Sitzungssaal im Alten Rathaus. Im Vorbeigehen kann man sie leicht übersehen, dabei lohnt ein genauer Blick auf die 450 Jahre alten Stücke. Sie erzählen die Geschichte der ersten Ratssatzung der Schanz und enthalten wertvolle Tipps für eine gelungene Sitzung.

Es waren nicht gerade gute Zensuren, die Stadtarchivar und Schulleiter Hans Kuhn den einstigen Stadtschreibern Ingolstadts ausstellen musste. Bei einer Rede vor dem Historischen Verein im Jahr 1930 beklagte er sich über die mangelnde Qualität der überlieferten Sitzungsprotokolle. Ärgerlich sei vor allem, dass sich die Räte offenbar gut kannten und deswegen in den Niederschriften nur Vor- und Spitznamen vermerkt seien. „Es mögen sich die Äußerungen der Ratsherren recht vorteilhaft unterschieden haben von dem heute üblichen parlamentarischen Getöne, aber für den Forscher ist es doch recht bedauerlich“, merkte Kuhn in seiner Rede an. Nachnamen mittelalterlicher Räte musste der Historiker nämlich stundenlang in alten Texten nachschlagen.

Allerdings, so räumte Kuhn ein, gebe es auch „rühmliche Ausnahmen“ unter den einstigen Stadtschreibern. Eine war Pantaleon Hudler von Rain, der offenbar 1563 – vor exakt 450 Jahren also – Stadtschreiber geworden ist. Vielleicht hatte er ein Faible für Bürokratie, jedenfalls legte Hudler gleich im Jahr seines Amtsantritts die erste überlieferte Geschäftsordnung des Ingolstädter Stadtrates an. Unter anderem gemahnte Hudler, die Räte sollten im Geheimen besprochene Anliegen „ewiglich verschweigen“ und „weder Weib, Kindern noch anderen“ davon erzählen. Außerdem warnte er die Schanzer Räte vor Bestechungsversuchen. Wer Mitglied des Rates ist, solle „weder Miet noch Gab nehmen“. Wer sich dennoch der Korruption schuldig mache, werde des Amtes enthoben.

Offenbar kam es bei den Ratssitzungen schon damals immer wieder zu heftigen Wortgefechten. Hudler forderte die Räte deswegen auf, nicht dazwischenzureden, nicht zu flüstern und auch im Disput nicht „wider die Gebühr zu handeln“. Streithähne würden des Saales verwiesen. Trotz aller Diskussion müssten die Räte zueinanderstehen, mahnte Hudler. „Wer des Rats ist, soll seinen Ratsfreund als einen Bruder freundlich verantworten und übles Reden nicht gestatten.“

Offenbar hatte Hudler auch ein dichterisches Talent und „formte das, was er in der Geschäftsordnung in trockener Prosa niedergelegt hatte, auch zu herzlichen Versen“, wie Kuhn lobte. Diese lyrischen Texte wurden auf Steinplatten festgehalten. In Straubing gab es einen Meister, der es verstand, den Solnhofer Plattenkalk so mit Säure zu behandeln, dass die Buchstaben erhaben hervortraten. Diese Platten wurden im Ratszimmer aufgehängt.

Der Ort der Ingolstädter Ratsversammlung änderte sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder. Mitte der 1880er Jahre zogen die Bürgervertretung in den Raum um, der heute als „Historischer Sitzungssaal im Alten Rathaus“ bezeichnet wird. Irgendwann in den 1930er Jahren wurden die beiden Tafeln mit dem Verhaltenskodex aus dem 16. Jahrhundert als schmückendes Beiwerk an der Vertäfelung des Saals angebracht. Am 7. Mai 1960 fand hier die letzte Stadtratssitzung statt, die Räte zogen in das Neue Rathaus um. Die Tafeln mit Pantaleon Hudlers Mahnungen ließen sie zurück.