Pfaffenhofen
Gurkerls schwarzer Tag

Insolvenz: Kult-Schuhhändler Reinhard Wagner muss schließen

21.06.2021 | Stand 25.10.2023, 10:35 Uhr
Schuhverkäufer aus Leidenschaft: Reinhard "Gurkerl" Wagner muss sein Geschäft schließen. Aufgeben will er nicht. −Foto: Herchenbach

Pfaffenhofen - Reinhard Wagner hat sich zum sommerlichen Kurzarmhemd eine schwarze Krawatte umgebunden. Dem Anlass entsprechend? "Nein", sagt er, "weil sie zu meinen schwarzen Schuhen passt." Stil muss sein. Tatsächlich hätte er allen Grund, Trauer zu tragen: Ende des Monats muss er seinen Schuhhof an der Joseph-Fraunhofer-Straße schließen. Die Firma hat Konkurs angemeldet.

Wagner ist in der Kreisstadt nicht irgendein Schuhhändler: Der "Gurkerl", wie sie ihn seit Jahrzehnten nennen, ist eine Institution. Seit 40 Jahren passt er in Pfaffenhofen Damen, Herren und Kindern Schuhe an, erstmals 1982 in einem Indoor-Laden im jetzigen Kaufland-Komplex. 1992 eröffnete er dort erstmals den "Schuhhof". Bei diesem Firmenkonstrukt ist er selbstständiger Unternehmer, aber nicht Eigentümer. Dennoch hängt sein Wohl und Wehe natürlich von dessen unternehmerischem Erfolg ab, der die Kollektionen einkauft, die er als Agentur in Kommission übernimmt. Die Insolvenz will er sich nicht in die Schuhe schieben lassen, umgekehrt werde ein Schuh draus: "Wenn die da oben ins Straucheln kommen", sagt Wagner, "dann bröckelt's unten." Mehr will er zur Pleite nicht sagen, sein Rechtsanwalt hat ihm Zurückhaltung auferlegt. Aber man merkt ihm deutlich seinen Ärger an.

Umso mehr, als das jetzt schon die zweite Insolvenz ist, die er erlebt. 2012 hat er schon einmal sein Schuhhof-Geschäft im Kaufland schließen müssen. Unterschriften-Aktionen seiner treuen Kunden waren die Folge. Mit so viel Wind im Rücken gelang es ihm, zwei Jahre später ein neues Geschäft aufzumachen, "aus eigener Initiative", bekräftigt Wagner. Der Eigentümer zog mit und mietete die Geschäftsräume an.

Die Eröffnung war eine Sensation. Wagner zeigt auf den Bäcker-Kiosk vor seinem Laden: "Bis dort hinten standen die Leute! In Viererreihen! Die Schlange an der Kasse" - Wagner dreht sich um und zeigt ins hinterste Eck seines Geschäfts - "war da noch immer nicht zu Ende." Zwei Security-Leute am Eingang stellten sicher, dass der Menschenauflauf, rund 2000 schuhhungrige Kunden, geordnet blieb. Wagner zupft einen vergilbten Zeitungsausschnitt von der Pinnwand in seinem Büro: "Gurkerls großer Tag", hatte damals der PK getitelt.

Inzwischen passt Gurkerl-Wagner schon der dritten Kunden-Generation Schuhe an: den Enkeln, deren Großeltern er schon in die Schuhe geholfen hat. Sein Erfolgsgeheimnis? "Der Service", sagt Wagner, "wir schicken die Leute nicht einfach zum Regal, wo sie sich umsehen sollen."

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die ganze: seine Begeisterung. "Schuhe verkaufen ist was Herrliches", strahlt Gurkerl, "das ist ein Erlebnis; das macht riesig Freude!" Bitte? Ist Schuhe an Damen zu verkaufen nicht eine gewaltige Geduldsprobe für Männer, die diesem Akt nur ungern beiwohnen und sich stattdessen im Baumarkt nebenan entspannen. "Da gibt's ja unzählige Geschichten,", sagt Wagner und erzählt von einer Dame, die seit einer knappen Stunde anprobiert und sich unter zwölf Alternativen nicht entscheiden kann. Endlich hat sie ihre Wahl getroffen und zeigt auf ein Paar: "Die nehme ich." Gurkerl lacht: "Das waren ihre eignen", schiebt aber nach: "Das war ein Witz!" Geduld, Freundlichkeit, Höflichkeit, dafür sei er bekannt.

Die Liebe hat den gebürtigen Österreicher aus der Steiermark nach Pfaffenhofen verschlagen. 1972 war er nach München gekommen, hatte beim Oberpolliger als Herrenausstatter gearbeitet und bei BMW in der Endkontrolle, wo er eine Italienerin kennenlernte, die hier wohnte. Die Liebe zu dieser jungen Frau kühlte ab, nicht aber die zu Pfaffenhofen. Beim MTV startete er seine zweite Karriere als Fußballer, Trainer und Spielleiter. "Nächste Woche bin ich wieder auf dem Rasen", freut er sich, "in der AH, der Alte-Herren-Mannschaft." Auf welcher Position? Eine überflüssige Frage. "Als Stürmer, ich bin ein Offensiver."

Wagner steht ein wenig verloren zwischen den leeren Regalen. Was noch da ist an Schuhen, das verkauft er mit Rabatt. Und auch Gutschriften werden selbstverständlich noch eingelöst. Die Insolvenz habe nichts mit Corona zu tun, die habe sich schon vor gut drei Jahren abgezeichnet, als er immer weniger Schuhe geliefert bekam. 2014 habe es noch 49 Schuhhof-Standorte gegeben, jetzt nur noch neun. "Und wenn ich weg bin, dann sind's nur noch acht", sagt Wagner wehmütig.

Und jetzt? Ein leises Servus? Mitnichten! "Schreiben Sie", diktiert Wagner, "der Gurkerl sagt: Mit 69 war's das noch nicht! Und: Der Gurkerl bedankt sich bei seiner Kundschaft für 40 Jahre Treue!"

PK

Albert Herchenbach