Ingolstadt
Grüner wird's nicht

Petra Kleine macht seit 36 Jahren im Stadtrat Politik - ein Bürgermeisteramt könnte ihre Ausdauer belohnen

28.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:49 Uhr
  −Foto: DK-Archiv, Hammer

Ingolstadt - Was für eine Konstellation.

Welch ein Wahlergebnis! Die neue Machtverteilung im Stadtrat: zum Verzweifeln. Zumindest aus Sicht der kleinen Parteien. Ihnen droht die Bedeutungslosigkeit. Während der Auszählung der Stimmen verbreitet um Mitternacht ein Zwischenergebnis Unbehagen: CSU 26 Sitze, SPD 14. Ende.

Alle anderen: nicht drin. "Großes Zittern bei den drei Kleinen", meldet der DONAUKURIER am Tag nach der Kommunalwahl vom 18. März 1984.

Zum Glück schafft es der Auszählungsstand von 1.15 Uhr in die selbe Ausgabe: Der Stadtrat wird wohl doch kein Zwei-Parteien-Plenum sein, darunter die CSU mit satter absoluter Mehrheit. Zwei Parteien und eine Wählergruppe bringen je einen Vertreter ins Gremium: Sigrid Michaelis (FDP), Hans Bierschneider (UW) und die 23-jährige Studentin Petra Kleine (Grün-Alternative Liste); sie ist die erste Würdenträgerin der vier Jahre alten, jugendlich-provokanten Partei in Ingolstadt. Im stramm rechts-regionalen Bayern des Franz Josef Strauß eine unerhörte Begebenheit.

36 Jahre später schaut die Konstellation etwas anders aus: Elf Parteien oder Gruppen ziehen in den Stadtrat ein, das CSU-FW-Bündnis verliert seine Mehrheit und OB Christian Lösel sein Amt, besiegt von einem Sozialdemokraten: Christian Scharpf. Nach Jahrzehnten fleißiger, oft frustrierender Oppositionsarbeit könnte Petra Kleine am 7. Mai vom Stadtrat zur hauptamtlichen dritten Bürgermeisterin gewählt werden. Im August wird sie 60. Es ist ihre letzte Chance, im Stadtrat mal oben sitzen zu dürfen: bei den Regenten. Darauf hat sie ausdauernd hingearbeitet.

Wenige Tage vor der Vereidigung Scharpfs und der neu gewählten Stadträte (am Montag, 4. Mai) ist Kleine in einem Telefonat bereits beseelt-staatstragend zu erleben. "Ich habe keine offenen Rechnungen", betont sie. Also auch nicht nach der langen Zeit, da sie die Arroganz der Macht (nicht nur bei der CSU) unverblümt erfahren musste. "Wir streben keine Koalition im klassischen Sinn an, sondern eine starke Stadtspitze in einem vielfältigen Stadtrat. Ich denke nicht in Parteien, ich denke in Themen. Wir sollten uns weniger mit uns selbst beschäftigen. Wir brauchen alle Energie für Ingolstadt! "

Die Frage, wer zu dem neuen Wir gehören darf, führt auf altvertrautes heikles Terrain. Es ist kein Geheimnis, dass es bei den Grünen Traditionalisten gibt, die eher 100 kräftige Eichen abholzen würden, als auch nur ein Mal gemeinsam mit der CSU die Hand zu heben. Auf der Gegenseite träumen Veteranen der Generation Hans Süßbauer (in der nicht gerade taufrischen neuen CSU-Fraktion stark vertreten) womöglich von den seligen Zeiten ihres Strauß, der die Grünen näher bei Moskau wähnte als bei Miesbach. Die seien eine "Melonenpartei", wütete er, "außen grün, innen rot".

Wie soll das funktionieren mit der Friedensanbahnung? Kleine setzt auf einen Mann, der von der alten Ingolstädter CSU unbelastet erscheint: Alfred Grob, der Kreisvorsitzende. "Er distanziert sich von einer Politik unter der Gürtellinie", sagt sie, schiebt aber gleich - wohl ein Oppositionsreflex - hinterher: "Wenn alte Kräfte nicht loslassen können, hat es auch ein guter Vorsitzender schwer. "

Eine klare Ansage. So wie die: "Wir fordern von der CSU, dass sie sich anders verhält. " Mehrdeutig fügt sie an: "Es wird sich ganz viel ändern. " Das solle aber keine Drohung sein. "Mir liegt nichts daran, von der CSU Demutsgesten zu bekommen. "

Doch nicht nur die CSU polarisiert bei den Grünen. Sondern auch Petra Kleine. Für die einen wäre ihr Einzug ins Rathaus die Krönung eines verdienstvollen Lebens für die Kommunalpolitik. Andere können die Dauerstadträtin, deren konstant hohes Energieniveau an ein fossil befeuertes Kraftwerk erinnert, langsam nicht mehr sehen. Das Verhältnis zwischen ihr und Referent Rupert Ebner gilt als sehr schwierig. Die Ex-Bundestagsabgeordnete und künftige Stadträtin Agnes Krumwiede ist Kleine in Aversion verbunden. Bei der Nominierung als OB-Kandidatin wurde sie in bester Grünen-Manier mit 75 Prozent auf offener Bühne abgewatscht. Bei der Kommunalwahl steigerten die Grünen ihr Ergebnis wie in einem Sturmlauf von fünf auf acht Sitze: 15 Prozent. Da blieb die grüne OB-Kandidatin mit ihren 9 Prozent weit zurück.

War Kleine die falsche Spitzenfrau zur richtigen Zeit? Hat sie im Wahlkampf auf Diskussionspodien vielleicht zu oft ermüdend aus Gremien berichtet und über Geschäftsordnungsschlachten referiert - am Volk vorbei? Nein, sie lebe in keiner Blase der Politik, erwidert sie. "Man trifft mich überall in der Stadt, auf dem Wochenmarkt, im Café - man kann mich immer ansprechen. Ich mag das sehr gern! Ich gelte als nahbar. "

Kleine bewirbt sich selbstbewusst als Bürgermeisterin: "Ich bin sieben Mal gewählt worden. Ich habe schon allen Gremien angehört. Ich verstehe mein Handwerk. " Sie erinnert an ihr Debüt in grüner Vorzeit: "Wir waren Pioniere, haben Neuland betreten. Plötzlich war da eine junge Frau, die auch noch gesprochen hat und mit einem alternativen Verkehrskonzept gekommen ist. " So begann der Weg. "Heute ist Ingolstadt eine vergleichsweise grüne Stadt. "

Ihre Erfahrung hält sie auch der Kritik entgegen, sie sei für höhere Ämter nicht qualifiziert, weil sie (eine Absolventin des Katharinen-Gymnasiums) die Universität abgebrochen habe. "Ich habe mein Jurastudium mit einem erfolgreichen Kind abgeschlossen", sagt sie. Als sie später ein Soziologiestudium begann, kam die zweite Tochter. Inzwischen sind sie und Ehemann Randolph Preisinger-Kleine Großeltern. Nächste Woche könnte eine kampferprobte Oma ins Rathaus einziehen. Vielleicht wird sie ihren Enkeln erzählen, dass sich Ausdauer in der Politik lohnt - auch wenn es ein bisschen länger dauert.

DK

Christian Silvester