Schrobenhausen
Große Liebe mit kleinen Makeln

Seit Monaten befinden sich Amateurkicker im Wartestand - und mit ihnen zahlreiche Eigenheiten des Mannschaftssports

26.05.2021 | Stand 23.09.2023, 18:50 Uhr
Es muss ja nicht immer die orangefarbene Bierbank sein: Auch ein leerer Getränkekasten kann an der Seitenlinie gute Dienste für Ersatzspieler verrichten. −Foto: M. Schalk

Schrobenhausen - Fragt man Fußballer und Fußballerinnen, was ihnen in Pandemiezeiten am meisten abgeht, dann ist ihre erste Antwort meist nicht der Sport an sich.

Es ist die Gemeinschaft, der Flachs in der Kabine, das Bierchen nach dem Training im Sportheim. Doch, Hand aufs Herz: Ein paar Dinge fehlen derzeit doch wirklich überhaupt nicht.

? Wenn der Zusatz "Laufschuhe einpacken" im Vorbereitungsplan auftaucht.

? Wenn dein Coach in den unzählig wirkenden Treppen der Tribüne ein ideales Trainings-Utensil ausmacht.

? Wenn du dich fürs Trainingsspiel in ein Leibchen zwängen musst, dessen Ammoniak-Note in der Nase beißt. Und das selbst bei einem E-Juniorenspieler noch hauteng anliegen würde wie dereinst die Trikots am Körper von Arjen Robben.

? Wenn du fürs Torschusstraining einen Ball abbekommst, der weniger Luft hat als der Kettenraucher aus dem Reserveteam beim Ausdauerlauf.

? Wenn du beim Kreisspiel getunnelt wirst - Doppelrunde.

? Wenn der von Verletzungen geplagte Gegner nach handgezählten sechs Regentropfen am Samstagnachmittag die sonntägliche Begegnung absagt: "Unser Platz ist absolut unbespielbar, sorry. "

? Wenn der Platz tatsächlich unbespielbar ist und die Gastgeber, die die Technik nur aus dem Media-Markt kennen, genau deshalb darauf bestehen, die Partie auszutragen.

? Wenn das Gras so hoch ist, dass es den Ball verschluckt.

? Wenn du der Einzige aus der Mannschaft bist, der am Abend vor dem Spiel pflichtbewusst aufs Weggehen verzichtet - um am nächsten Tag 90 Minuten lang von der Bank aus zusehen zu dürfen, wie sich die Nachtschwärmer auf dem Platz das Weizenbier rausschwitzen.

? Wenn sie den Gegenspieler auf deiner Seite Pferdelunge rufen - und du ausgerechnet am Tag vorher mal nicht auf die Kneipe verzichtet hast.

? Wenn dieser Gegenspieler wie ein Irrer die Linie rauf- und runterwetzt, dir Knoten in die Beine spielt - und du dir sicher bist, dass er noch in der Kneipe war, als du nach Hause gestakst bist. Wie zur Hölle macht der Typ das?

? Wenn der altgediente Mittelstürmer des Gegners bei jeder Berührung umfällt und so dermaßen laut brüllt, als hätte man ihn mit siedend heißem Fett aus der Fritteuse der Vereinsgaststätte übergossen.

? Wenn der Schiedsrichter auch noch jede dieser Szenen zugunsten seines alten Weggefährten auslegt, den er selbstredend duzt und vor dem Spiel per freundschaftlich-vertrautem Handschlag begrüßt hat.

? Wenn dich beim Freundschaftsspiel der grimmig dreinblickende Typ in Manndeckung nimmt, der selbst beim sommerlichen Testkick nicht auf seine Eisenstollen verzichten möchte.

? Wenn die Elf des Gegners die lokalen Gegebenheiten des heimischen Platzes zum Zeitspiel nutzt und du den Ball andauernd aus Gestrüpp, Wald oder Bachlauf holen musst.

? Wenn der Mannschaftsroutinier kiloweise Pferdesalbe auf seine geschundenen Beine aufträgt und einem vom Mentholdunst in der Kabine noch auf dem Platz die Augen tränen.

? Wenn die Kabine beim Auswärtsspiel größentechnisch selbst für ein Tennisdoppel eher knapp bemessen ist.

? Wenn bei 35 Grad Celsius im Schatten wieder keiner dran gedacht hat, die eigenen Trinkflaschen aufzufüllen.

? Wenn es beim Match in Strömen regnet und dir als Ersatzspieler lediglich eine ungeschützte Bierbank auf der Tartanbahn zur Verfügung steht.

? Wenn es in Strömen regnet und dein Trikot gefühlte 13 Kilogramm wiegt.

? Wenn nach einem Spiel kurz vor der Winterpause die Duschen 15 Minuten brauchen, um warm zu werden.

? Wenn sie ganz kalt bleiben, weil vorher nach Aussage des recht gleichgültig wirkenden Platzwartes "ja schon die zweiten Mannschaften geduscht haben - ist halt hier leider so".

? Wenn du dann auch noch dein Handtuch vergessen hast und den durchnässten Lappen eines Mitspielers leihen musst.

? Wenn der Trainer des Gegners nach 60 Minuten krakeelt: "Die können nicht mehr! " Und du japsend feststellst: Er hat vollkommen Recht.

? Wenn dein fußballerisch herausragender Teamkamerad hochgradig hypochondrisch ist und bei einem leichten Schnupfen fürs entscheidende Meisterschaftsspiel absagt: "Könnte chronisch werden. "

? Wenn der Spielertrainer deines Kreisklassen-Gegners mehr verdient als du in deinem regulären Job, weil er "mal höherklassig gespielt hat".

? Wenn der als Beinahe-mal-Jugendnationalspieler angekündigte Neuzugang maximal als Ergänzung für die Abteilung Kinderturnen taugt - und der Trainer ihn trotzdem immer fleißig aufstellt.

? Wenn Kabinenschlüssel, Wertsachenbeutel oder Passheft mal wieder komplett unauffindbar sind.

? Wenn die Altgedienten vom Stammtisch an der Seitenlinie nicht müde werden, zu erwähnen, dass früher alles besser war - vor allem ihre damaligen Leistungen auf dem Platz.

? Wenn du einer von fünf Leuten im Training bist - aus erster und zweiter Mannschaft.

? Wenn der Kabinen-DJ mal wieder aus voller Überzeugung nickend die neusten Ballermann-Hits aufdreht.

? Wenn der Typ vor dir die letzte Steaksemmel am Stadiongrill bekommt.

Letztlich sind es aber genau diese kleinen Makel, die den Amateurfußball so herrlich liebenswert machen. Und die es einen kaum erwarten lassen, dass es endlich wieder losgeht. Ein paar Dinge sind abschließend noch zu erwähnen, die wir wirklich gar nicht vermissen und die am besten nach der langen Corona-Pause aus dem Amateursport verschwinden: Beleidigungen und gar Handgreiflichkeiten gegen Schiedsrichter, Gegen- oder Mitspieler sowie sämtliche rassistische, homophobe oder frauenfeindliche Äußerungen.

Ach ja: Und darauf, dass eine Pandemie ausbricht, der Amateursport dadurch zum Erliegen kommt, eine Saison fast zwei Jahre lang dauert und lange Zeit unklar ist, ob, wann und wie es weitergeht - darauf können wir Amateurfußballer in Zukunft gerne ebenfalls verzichten.

HK



David Libossek