Ingolstadt
Große Klappe, großes Herz

Viel Beifall für "Ziemlich beste Freunde" im Ingolstädter Studio

10.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:23 Uhr
Liefern sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei: Philippe (Nik Neureiter) und Driss (Markus Oberrauch). −Foto: Woelke

Ingolstadt (DK) Ein Maserati auf der Studiobühne?

Kein Problem. Man nehme einen Stuhl aus dem kargen Bühnenbild, den speziellen Motorsound und für die Verfolgungsjagd der Polizei ein blaues Licht, das in Intervallen rechts oben auf die Wand blinkt. Den Rest überlässt man dem Geschick der Schauspieler Nik Neureiter und Markus Oberrauch. Der eine spielt den reichen Adeligen Philippe, der andere seinen Pfleger. Beide haben eine Wette laufen, ob sie bei ihrem rasanten Ausflug mit Philippes Maserati durch das nächtliche Paris nicht nur ohne Strafzettel davonkommen, sondern sogar ein Stück von einer Polizeieskorte begleitet werden. Es klappt: Zwar wird Driss zunächst rabiat aus dem Wagen gezerrt, doch weil Philippe einen epileptischen Anfall vortäuscht, reagiert die Polizei kleinlaut.

"Ziemlich beste Freunde" heißt der französische Kino-Hit von Olivier Nakache und Eric Toledano aus dem Jahr 2011 mit François Cluzet und Omar Sy in den Hauptrollen, der von einer ungewöhnlichen Freundschaft erzählt. Denn Philippe und Driss könnten verschiedener nicht sein. Philippe ist Millionär, verwitwet, kunstinteressiert, scheu und nach einem Absturz beim Paragliding vom 4. Halswirbel ab gelähmt, sodass er häusliche Rundum-Betreuung benötigt. Driss dagegen ist ein großmäuliger Kleinkrimineller aus ärmlichen Verhältnissen, der sich pro forma um den Job als Pfleger bewirbt, damit ihm das Amt weiterhin Arbeitslosengeld zahlt. Philippe findet Gefallen an dem unkonventionellen jungen Mann und stellt ihn ein. Eine Entscheidung, die beider Leben komplett verändert. Denn Driss steckt Philippe mit seiner draufgängerischen Art, das Leben zu leben, an.

Regisseur Thomas Gassner hat den Stoff im Innsbrucker Kellertheater in Szene gesetzt - mit Nik Neureiter und Markus Oberrauch in den Hauptrollen. Diese Produktion ist nun bis 15. November im Ingolstädter Studio im Herzogskasten zu sehen. Und die erste Gastvorstellung am Freitagabend wurde mit langem Beifall bedacht. Kein Wunder, zeichnet sich die Bühnenfassung von Réne Heinersdorffer doch durch unterhaltsame Leichtigkeit aus. Hier läuft die Handlung in Schlaglichtern ab, was ein verdichtetes Erzählen möglich macht. Französische Popmusik trennt die Kurz- und Kürzestszenen. In pointierten Dialogen lernt der Zuschauer die Protagonisten kennen, begleitet sie durch aberwitzige Situationen und wird Zeuge, wie beide vom Leben beschädigten Seelen sich langsam erholen.
Regisseur Gassner setzt auf absolute Reduktion. Ein Tisch und zwei Stühle symbolisieren die herrschaftliche Villa, Stellwände rechts und links markieren Driss' und Philippes Privaträume, ermöglichen Auf- und Abtritte.

Upper-Class trifft auf Banlieu: Fein ausbalanciert zwischen Tragödie und Komödie entspinnt sich das Spiel, und es ist wunderbar, Nik Neureiter und Markus Oberrauch dabei zuzusehen, wie aus Egomanen Freunde werden, wie der eine dem anderen neue Welten (hier ein Joint, dort Kunst und Klassik) eröffnet, wie Driss lernt, Verantwortung zu übernehmen und Philippe neuen Mut zum Leben fasst. Neureiter schafft es tatsächlich, vollkommen regungslos in seinem Rollstuhl zu sitzen und trotzdem alle Register seiner Schauspielkunst zu ziehen. Oberrauch begeistert mit großer Klappe und großem Herzen. Teresa Waas als resolute Maglie, der so wandelbare wie komische Bernhard Wolf in verschiedenen Rollen (u. a. als Pfleger, Antoine und Driss' Bruder Adama) und Franziska Gohlke (u. a. als Galeristin und Éléonore) vervollständigen das Ensemble.
Das Stück feiert das Leben - und ist insofern ziemlich beste Unterhaltung!

ZUM STÜCK
Theater:
Studio im Herzogskasten
Regie:
Thomas Gassner
Vorstellungen:
11./12. und 14./15. November jeweils um 20 Uhr
Kartentelefon:
(0841) 30547200

Anja Witzke