Neumarkt
Grausames Ende einer Schreckenszeit

Vor 75 Jahren versank Neumarkt im Bombenregen der Amerikaner in Schutt und Asche

24.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:29 Uhr
Nur noch ein Ruinenmeer war vom Turm der Johanneskirche zu sehen. Neumarkt versank in Schutt und Asche. −Foto: Meyer (Repro)

Neumarkt - Gut zwei Wochen vor dem offiziellen Kriegsende am 8. Mai 1945 ist die Neumarkter Altstadt mitsamt den Randbezirken in Schutt und Asche versunken.

Ein Häuflein Soldaten der SS und Partei-Beamte verhinderten die Übergabe der Stadt, ehe sie schließlich von amerikanischen Einheiten eingenommen wurde.

In drei Etappen rollten die Angriffswellen von Februar bis April 1945 auf die Kreisstadt zu. Die schreckliche Bilanz: Nur 48 von 573 Häusern blieben vom Bombenregen der Amerikaner verschont. Hunderte Menschen kamen ums Leben. Neumarkt gehörte zu den prozentual am meisten zerstörten Städten in ganz Deutschland. Ein Foto, aufgenommen im Herbst 1945 vom Turm der Johanneskirche, zeigt ein Ruinenmeer. Durchlöcherte, graue Fassaden wirken wie Fratzen.

Nur langsam kehrte kümmerliches Leben ein und die Bewohner mussten in zugigen Verschlägen hausen. Vom alten Neumarkt war nach dem 22. April 1945 wenig mehr zu erkennen. Eine Ausnahme bildete die Johanneskirche. "Nur" die Fenster des Gotteshauses hielten dem Luftdruck der Bomben nicht stand und zerbarsten. Die Nazis hoben Neumarkt als Dietrich-Eckart-Stadt auf den Schild. Der Hitler-Mentor kam nämlich 1868 in der Jura-Stadt zur Welt und verschaffte dem noch unbekannten Adolf Hitler Anfang der 1920er-Jahre Zugang zu finanzkräftigen Kreisen in München.

Zehn Jahre nach Eckarts Todesjahr kam Hitler im Oktober 1933 nach Neumarkt und weihte im Stadtpark das Dietrich-Eckart-Denkmal ein. Ironie der Geschichte: Das Gasthaus Zum Hechten am Unteren Markt, wo Eckart zur Welt kam, überstand den Krieg heil.

Viele Neumarkter glaubten lange, dass sie vielleicht vom Krieg verschont bleiben würden, weil die Angriffe bis Februar 1945 dem benachbarten Nürnberg galten. Sie hatten sich getäuscht. 74 B 17-Bomber, die sogenannten Fliegenden Festungen, visierten am 23. Februar Neumarkt als Ziel an und klinkten zwischen 11.20 und 11.32 Uhr die todbringende Fracht aus. Vorwiegend das Bahnhofsgelände und die Industrieanlagen ringsherum wurden getroffen. Für viele Neumarkter war dies Anlass genug, aufs Land zu Verwandten und Bekannten zu ziehen. Viele retteten sich dadurch. Sechs Wochen später nämlich, am 11. April, erfolgte der zweite Angriff. Bibbernd und betend flohen die Neumarkter in ihre Keller. Rund 100 Tote in der Altstadt waren zu beklagen, darunter auch Zwangsarbeiter. Eigentlich hätten der Bahnhof und die Gleisanlagen getroffen werden sollen, um Nachschub zu verhindern. Geistlicher Rat Ludwig Heigl, der spätere Pfarrer der Hofpfarrei, erinnerte sich: "Die Toten konnten nicht mehr beerdigt werden, weil keine städtischen Arbeiter mehr da waren. Die Bestattung konnte erst nach der Einnahme durch die Amerikaner erfolgen. " Zwei Tage später stand in der letzten Ausgabe des "Steinpfalzboten": "Jede Stadt ist zu verteidigen! Es gibt keine offene Stadt. " Dies bedeutete das Todesurteil für Neumarkt. Reste der 17. SS-Panzergrenadier-Division "Götz von Berlichingen" wurden zur Verteidigung der Stadt beordert. Buben zwischen zwölf und 15 Jahren wurden an den Ausfallstraßen postiert und hatten den Auftrag, mit Gewehren den Feind aufhalten. Richard Knerler, damals 14 Jahre alt und später Realschullehrer, musste einen Panzervernichtungsposten am Blomenhof beziehen. "Tagsüber musste ein rauchendes Feuer, nachts ein hell loderndes angezündet werden", erinnerte er sich. Landrat Greim lehnte es am 18. April ab, die Stadt zu übergeben, die SS habe ihn abgehalten, hieß es später. Der Neumarkter Feuerwehrkommandant Sebastian Kirsch wollte eine weiße Fahne zum Zeichen der Kapitulation auf dem Turm der Johanneskirche hissen. Kurz zuvor soll es mit dem SS-Kampfkommandanten Walter Nestler zu einer lebhaften Diskussion gekommen sein, bei der Schüsse fielen. Passanten fanden später Sebastian Kirsch tot.

Ihm zu Ehren ist in Neumarkt eine Straße benannt. Am 20. April, Hitlers Geburtstag, eröffneten drei Bataillone des US-Infanterie-Regiments gegen fünf Uhr morgens das Feuer, nachdem schon am Tag zuvor die Stadt mit Phosphorkanistern in Brand gesetzt wurde. Spreng-, Brand- und Phosphorbomben versetzten der Stadt den Todesstoß. Rathaus und Reitstadel, beides Zeugnisse des 15. Jahrhunderts, gingen in Flammen auf. Das Lebenswerk vieler Familien, ihre Häuser, wurden zerstört. Katharina Fuchs, die Wirtin des Gasthofs Zum Hechten, führte Tagebuch. Im Eintrag zum 20. April steht: " Da nun die ganze Stadt erledigt war und wir einen Luftschutzkeller hatten, kamen vereinzelt Menschen zu uns, trostlos, verstört, mit Bündel von Kleidern und Teilen des Haushalts, auch Hühner, Ziegen, Schafe, Hunde und Katzen waren dabei. Ich kam ihnen tröstend entgegen, aber sie schauten mich wortlos an. " Erst am 22. April nahmen die Kämpfe ein Ende. Einzelne versprengte Soldaten lieferten sich noch Gefechte. In der Hofkirche verschanzte sich ein SS-Mann hinter dem Altar, der - so erzählte man später - von 27 Schüssen durchsiebt wurde.

Als die Waffen verstummten, durften viele Geflüchtete noch nicht zu ihren Anwesen. Die Stadt wurde drei Tage lang zur Plünderung für die GIs, die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter freigegeben. Auch manche Neumarkter sollen sich am Hab und Gut ihrer Mitmenschen bereichert haben. Das grausam entstellte Stadtbild sollte nach und nach wieder entstehen. Als letzte Kriegsruine wurde der Reitstadel aufgebaut und 1981 eingeweiht. Wer heute über die Beschränkungen jammert, sollte einen Blick zurück werfen: Tod, Krankheit und Zerstörung, kein Dach über dem Kopf, wenig zu essen und zu trinken, keine Heizmaterialien, dazu die Last der Schuld an den Verbrechen gehörten zu den Lasten.

DK