Grandios Scheitern

13.11.2008 | Stand 03.12.2020, 5:26 Uhr

Berlin (DK) "Total Recall" ist ein düsterer Science-Fiction-Streifen mit Arnold Schwarzenegger. Weil der Film zwischen Erinnerung und Realität oszilliert, gibt er einen programmatisch hervorragenden Titel ab für ein Festival, das am 21. und 22. November in Theater Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin stattfindet: das Internationale Festival des nacherzählten Films.

Im Festivaltitel schwingt aber auch schon mit, worum es den Organisatoren geht: um den Allerweltsfilm. Kein Forum also für den schwer vermittelbaren Kunstfilm, sondern eins für alle Genres, Qualitäten und Themen. Bernd Terstegge wünscht sich ein Festival für Filmliebhaber aller Art, für Smalltalk-Cineasten und Soap-Fans, für Zelluloid-Dilettanten und die Künstler der erzählerischen Ausschweifung.

Filmfest ohne Film

Bernd Terstegge macht Kurzfilme. Trickfilme. Er hat zahlreiche Festivals besucht. Kennt die Szene, die Strukturen. Dann gab es dieses Filmvorhaben, mit dem er nicht zurande kam, über das er aber sehr viel erzählte – und irgendwann keimte in ihm der Gedanke, ein ganz anderes Projekt in Angriff zu nehmen: ein Filmfestival aufzuziehen, in dem man keinen einzigen Film sieht. Bei dem man nichts weiter benötigt als einen Raum, ein Pult und einen Erzähler. Gemeinsam mit Axel Ganz, der für die Musik in Bernd Terstegges Kurzfilmen verantwortlich ist, überlegte er sich ein Konzept, das mit einem Augenzwinkern die großen Filmfestivals zitiert – mit Bewerbungsfrist, Wettbewerbsblöcken und Rahmenprogramm. Und natürlich gibt es auch einen Preis zu gewinnen: Die Silberne Linde ist quasi das Gegenstück zur Goldenen Palme. Undotiert. Aber in erster Linie geht es ja um den Spaß. 1999 ging in Düsseldorf das erste Festival über die Bühne. Denn tatsächlich werden nicht Kinos, sondern meist Theater als Veranstaltungsorte gewählt.

Einzige Voraussetzung fürs Mitmachen: "Man muss einen Film gesehen haben", sagt Bernd Terstegge und lacht. Denn dieses Festival dreht sich einmal nicht um Stars, sondern ums Publikum. Und da treten Siebenjährige mit ihren Lieblingsfilmen genauso selbstbewusst ans Mikro wie der 84-Jährige, der von Werken erzählt, die es mittlerweile gar nicht mehr gibt. Sogar ein Hochzeitsfilm wurde schon mal nacherzählt. Aber das ist doch eher die Ausnahme. "Mainstream und Filmklassiker halten sich in etwa die Waage", meint Bernd Terstegge. Zu den Spitzenreitern zählen Werke von Stanley Kubrick.

Etwa 15 Kandidaten treten an jedem der beiden Abende auf. "Sie sind kleine Helden, die das Unmögliche versuchen: in dieser kurzen Zeit einen abendfüllenden Film zu erzählen. Aber sie scheitern in der Regel grandios", meint Bernd Terstegge. Gemeinsam mit Axel Ganz moderiert er die Show, stellt Bewerber vor und erklärt das Reglement.

Das besagt, dass man ohne Hilfsmittel auskommen muss. Keine Kostüme, keine Musik und nicht das kleinste Zettelchen zum Ablesen. Und: In zehn Minuten muss alles gesagt sein. Dann ertönt aus dem Off das Rattern eines alten Filmprojektors und signalisiert: Die Zeit ist um.

Mit Flash Gordon zum Sieg

Wiederholungstäter sind keine Seltenheit. Klaus Uhrig aus München ist so einer. Eigentlich wollte er sich im vergangenen Jahr "Die Dreigroschenoper" am Berliner Ensemble anschauen. Weil sie ausverkauft war, suchte er ein kulturelles Ersatzprogramm im HAU, wo gerade das Festival des nacherzählten Films stattfand. Zwölf Euro Eintritt? Zu viel, befand Klaus Uhrig. Wollte sich den Spaß aber doch nicht entgehen lassen und landete – bei freiem Eintritt – auf der Bühne. Völlig unvorbereitet. Also wählte er eine Film, den er sehr gut kannte. "Flash Gordon", eine Science-Fiction-Serie aus den 30er Jahren. "Ein Feuerwerk der unfreiwilligen Komik", erklärt Klaus Uhrig. Er siegte. Aus dem Stand. Trat im gleichen Jahr noch mal in Kassel an. Schaffte es dort immerhin auf Platz zwei. Natürlich ist der 28-Jährige nächste Woche in Berlin wieder dabei. Mit "Pulgasari" – Nordkoreas Antwort auf Godzilla.

Die Bewerbungsfrist läuft noch: Kurzentschlossene können sich unter www.totalrecall.org anmelden. Vielleicht sogar mit dem Film, der dem Festival den Namen gab. Denn Bernd Terstegge hat "Total Recall" von Paul Verhoeven noch immer nicht gesehen.