Neuburg
Goethe im Schlafanzug

Das Junge Schauspiel Ensemble München inszeniert "Lieben und Töten – Das kurze Leben des Heinrich von Kleist"

30.11.2011 | Stand 03.12.2020, 2:06 Uhr

Genie und Wahnsinn lagen bei ihm eng beieinander: Heinrich von Kleist (Thomas Trüschler) irritiert die Gäste auf einer Gesellschaft - Foto: oh

Neuburg (DK) Ein düsterer Winterwald in Schwarz-Weiß. Schnee und kahle Bäume. Das ist das Szenario, vor dem sich Leben und Sterben Heinrich von Kleists entwickeln. Das ist das Szenario, vor dem sich Leben und Sterben Heinrich von Kleists entwickeln.

Wobei das Junge Schauspiel Ensemble München schon sehr früh klarmacht, dass beides eins ist. „Lieben und Töten – Das kurze Leben des Heinrich von Kleist“ heißt das Schauspiel von Jutta Schubert. Ein Werk zum 200. Todesjahr Kleists, das dessen Zerrissenheit, seine stete Suche und Sehnsucht nach „dem, das nicht ist“ ergreifend auf die Bühne bringt. Zumindest im ersten Akt, der das Seelendrama wunderbar aufbaut und es dem unvermeidlichen Höhepunkt zustreben lässt.

Die Szenen zwischen Kleist (Thomas Trüschler) und seiner Schwester Ulrike (mit hoher Bühnenpräsenz: Ulrike Dostal) gehören zu den Höhepunkten eines spannenden Theaterabends. Allerdings fällt der Spannungsbogen im zweiten Akt deutlich ab. Stand vor der Pause das verkannte Genie auf der Suche im Mittelpunkt, so gehört der zweite Akt offensichtlich dem Wahnsinn. Ob es aber nötig ist, Goethe von einer blutbesudelten Penthesilea blutig attackieren zu lassen? Mag sein, dass Kleist getrieben wurde, Goethe die Dichterkrone zu entreißen, mag sein, dass Goethe den jungen Mann nicht hochkommen lassen wollte. Vieles gehört hier ins Reich der Fiktion. Weimar gehört jedenfalls nicht in dem Maße zu Kleists Biografie wie Berlin, Paris, Dresden und Königsberg. Natürlich erhebt ein Schauspiel keinen biografischen Anspruch – dennoch ist fraglich, wie weit Fiktion gehen darf.

Manches im zweiten Akt irritiert. Was bezweckt Intendant Michael Stacheder mit dem Conny-Froboess-Hit „Pack die Badehose ein“, den er sein Ensemble trällern lässt? Goethe in Schlafanzug und Filzpantinen oder die Szene, in der die blutjunge Louise von Wieland und Kleist übereinander herfallen, sind auch nicht jedermanns Geschmack. Hier entstehen Brüche im zunächst so stringent aufgebauten Handlungsfaden. Ein Hinweis auf Kleists Antithese zum klassischen Drama? Vielleicht, aber relativ weit hergeholt und eigentlich überflüssig. Streckenweise dehnt sich der zweite Akt in die Länge, die Spannung kann oder soll nicht gehalten werden. Vergleichsweise wenig dramatisch verläuft die Begegnung mit Henriette Vogel, seiner Partnerin im Doppelselbstmord.

Vielleicht wäre dem Andenken des Dichters mehr gedient gewesen, indem er selbst durch sein Werk hätte sprechen dürfen? Es muss ja nicht unbedingt der häufig gespielte \"Zerbrochene Krug\" sein, auch \"Amphitryon\" oder die völlig unerwähnt gebliebene \"Marquise von O.\" haben durchaus ihren Reiz.

Ungeschmälert bleiben soll hier die ausgezeichnete Leistung des siebenköpfigen Schauspielensembles, das dem anspruchsvollen Stück absolut gerecht wird. Erhard Henning überzeugt als alternder Geheimrat Goethe, Marlen Poebing, Nina Bernreuther, Robert Ludewig und Joachim Aßfalg beeindrucken durch ihre hohe Wandlungsfähigkeit, mit der sie je drei bis acht Rollen verkörpern. Sehr gut gemacht sind Kostüme und Textansprache, die es dem Zuschauer trotz der Vielzahl der auftretenden Personen ermöglichen, weitgehend den Überblick zu behalten und die jeweiligen Protagonisten identifizieren zu können. Auch die perfekt eingebauten Zitate aus Kleists Werken lassen immer wieder aufhorchen. Raffiniert eingesetzt wird die Falltür inmitten der schiefen Ebene, die das Bühnenbild zum Sinnbild für Kleists Scheitern werden lässt.

Verdienter Applaus belohnt die Schauspieler schließlich im relativ übersichtlich besetzten Neuburger Stadttheater.