Ingolstadt
Go-Devil als Befreier von der Tyrannei

02.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:08 Uhr

Rückkehr eines Veteranen: Charles "Chuck" Illsley war als US-Soldat nach dem Zweiten Weltkrieg im Amtsgericht in der Ingolstädter Neubaustraße stationiert. Am Kragen trägt er die offiziellen Abzeichen der Go-Devils, seiner Einheit. - Foto: Stadik

Ingolstadt (DK) Ein Go-Devil erinnert sich: Private (Gefreiter) Charles Illsley vom berühmten 60. Infanterieregiment der US-Armee war von 1945 bis 1947 in Deutschland stationiert. Der Veteran, der in Ingolstadt seine große Liebe fand, besucht seit 65 Jahren regelmäßig die Stadt.

Als am 26. April 1945 die ersten US-amerikanischen Panzer in der Nähe des Donau-Ruderclubs auftauchten, lag ein Teil von Ingolstadt in Schutt und Asche. Die Luftangriffe der Alliierten hatten zahlreiche Wohnhäuser zerstört und 625 Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. Dank des Kampfkommandanten Paul Weinzierl blieb die Schanz jedoch von einer völligen Zerstörung verschont: Der mutige Ingolstädter Major verweigerte die befohlene Verteidigung bis zur letzten Patrone. Dennoch bot sich den Befreiern ein verheerendes Bild: "It was a mess", erinnert sich Charles Illsley an die Zeit nach der Stunde Null.

65 Jahre nach Kriegsende sitzt der heute 84-jährige Amerikaner in einem Ingolstädter Café. Auf dem Kopf trägt er eine Baseball-Kappe der U.S. Army. Die offiziellen Abzeichen des 60. Infanterieregiments schmücken den Kragen seiner braunen Lederjacke. Illsley, der als einfacher Soldat (Private) in der Kompanie G des 2. Bataillons diente, ist ein ehemaliger "Go-Devil". So nannten sich die Infanteristen der berühmten US-Kampfeinheit, die sich und ihre Ausrüstung mit einem nach vorne stürmenden Teufel als Motto schmückten. Die Folgen des wahrlich teuflischen Nazi-Regimes sah Private Illsley mit eigenen Augen. Der junge US-Soldat gehörte zu den Befreiern des Konzentrationslagers Dora-Mittelbau. "Ich habe damals nicht die Deutschen gehasst, sondern die Führer, die verantwortlich waren."

Nach den schockierenden Erlebnissen bei der Befreiung des KZ wurde Chuck, so sein Spitzname, zunächst Anfang Juni 1945 nach Manching versetzt. Die US-Soldaten waren in zerstörten Baracken auf dem Flughafen untergebracht – "das war besser, als auf dem Boden zu schlafen" – und verbrachten die Tage mit unzähligen Manövern. Charles Illsley war beeindruckt von den vielen Brauereien und den weiten Hopfenfeldern südlich von Ingolstadt. "Zuerst dachte ich, das sind Vorrichtungen zur Abwehr von Fallschirmspringern", erzählt der Veteran schmunzelnd. Und dann blickt er zurück auf den Sonntag, der sein Leben entscheidend prägen sollte: Bei einem Ausflug nach Ingolstadt traf er Elisabeth, die von allen nur Elli genannt wurde.

"Es war Liebe auf den ersten Blick", sagt Illsley und berichtet, wie er eigentlich nur das Fahrrad der jungen, hübschen Deutschen beschlagnahmen wollte und dann bis zum Abendessen mit Elli zusammen blieb. Die jungen Leute verständigten sich nur mit den Händen und verstanden sich dennoch auf Anhieb. Der Flirt war gefährlich: Es galt schließlich das Fraternisierungsverbot für die US-Besatzer. "Wir mussten immer auf die Militärpolizei aufpassen." Trotzdem entspann sich eine zweijährige Beziehung, die einige Versetzungen überstand. Denn Private Illsley wurde mehrfach an verschiedenen deutschen Standorten eingesetzt und diente zum Beispiel als Bewacher von SS-Chargen im ehemaligen KZ Dachau.

Schließlich landete der junge GI wieder in Ingolstadt. Im Stab von Colonel James A. Crewe, der im Amtsgericht in der Neubaustraße das Zivilgericht leitete, kümmerte sich Chuck um den Fuhrpark und die Küche. Regelmäßig fuhr Illsley aufs Land zu den Bauern und tauschte Zigaretten gegen frische Lebensmittel ein. Was eigentlich eine glückliche Zeit an der Seite seiner Ingolstädter Geliebten hätte sein können, geriet jedoch zur persönlichen Tragödie: Elli erkrankte an Krebs und starb im Alter von 27 Jahren in einem Schanzer Krankenhaus. Beerdigt wurde sie auf dem Westfriedhof. Den Grabstein bezahlte Charles Illsley mit ein paar Stangen Camel und beendete dann 1947 als Sergeant seine Dienstzeit in Deutschland.

Die Trauer um diese große Liebe ist Chuck auch Jahrzehnte nach dem Tod seiner Elli noch anzumerken. Immer wieder besuchte er Ingolstadt und das Grab, obwohl er in den USA eine Familie gründete und als Diplomgeologe (Spezialgebiet Uran) am geheimen Atombombenprogramm der Amerikaner mitarbeitete. Heute lebt Charles Illsley meist in Grand Lake in den Rocky-Mountains. Der dortige Rotary-Club hat dem Veteranen und seinen Kameraden, die unter anderem in Vietnam oder Korea kämpften, eine ausführliche Biografie gewidmet. Regelmäßig nimmt Chuck an den Gedenkfeiern teil und trifft sich so oft wie möglich mit seinen Ingolstädter Freunden. "Ich bin stolz und froh, Deutschland den Frieden gebracht zu haben", zieht Charles Illsley ein Fazit seiner Kriegserfahrungen. Und empfiehlt: "Never give up! Always go on” (Gib niemals auf. Bleib auf Deinem Weg).