München
Glotzt nicht so romantisch!

95 Jahre nach der Uraufführung: Brechts "Trommeln in der Nacht" an den Kammerspielen

15.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:04 Uhr

Auf Zeitreise: Damian Rebgetz, Hannes Hellmann, Wiebke Mollenhauer, Christian Löber, Wiebke Puls und Nils Kahnwald. - Foto: Baumann

München (DK) Am 29. September 1922 fetzte einer der größten Theaterskandale der frühen Weimarer Republik durch die Münchner Kammerspiele. Der berühmte Regisseur und Theaterleiter Otto Falckenberg inszenierte die Uraufführung von "Trommeln in der Nacht" des 24-jährigen Bertolt Brecht aus Augsburg.

Tumultartige Zustände gab's im Zuschauerraum, wie die damaligen Theaterkritiker in ihren Zeitungen berichteten. National-völkisch Gesinnte, Hurrapatrioten, ewige Militaristen sowie Bieder- und Saubermänner protestierten lautstark gegen dieses Anti-Kriegsstück und dessen "freimütige Szenen", während Lion Feuchtwanger und andere Schriftsteller mitsamt dem restlichen kritischen Publikum jubelten. Jetzt, 95 Jahre nach dieser legendären Uraufführung, abermals "Trommeln in der Nacht" in den Münchner Kammerspielen: einhelliger und euphorischer Schlussapplaus des Premierenpublikums für den Regisseur Christopher Rüping und die exzellente Schauspielerschar.

Ein Drama über einen Kriegsheimkehrer ist's, das Brecht als "Komödie" bezeichnete, wie es nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg zahlreiche gab. Ob Ernst Tollers "Hinkemann" (1920/21) oder Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" (1947), das Schicksal eines Mannes, der sich, von all den Horrorerlebnissen auf den Schlachtfeldern traumatisiert, in seiner alten Heimat mit all den Kriegsgewinnlern und der menschlichen Kälte in seiner Umgebung nicht mehr zurechtfindet und an den neuen gesellschaftlichen Strukturen scheitert. Kragler heißt er hier, der vier Jahre Kriegsgräuel hinter sich hat und von seiner ehemals großen Liebe Anna (eindrucksvoll: Wiebke Mollenhauer) und deren Eltern (Wiebke Puls als dominante Familienhyäne und Hannes Hellmann als Kotzbrocken eines Vaters) für tot erklärt wurde. Den wenig attraktiven, aber ehrgeizigen Friedrich Muck (Nils Kahnwald), der als Nachfolger der Firma von Annas Vater auserkoren ist, soll sie heiraten. Doch am Tag der Verlobung von Anna und Friedrich steht Kragler (Christian Löber als desillusioniertes Kriegsopfer) vor der Tür. Das Drama kann beginnen und die Spannung steigt ganz gewaltig, da Kragler aus verletzter Ehre seitens der Balicke-Familie und aus fester Überzeugung den revolutionären Spartakisten zunächst sich anschließt, um letztlich doch mit der zu ihm zurückgekehrten Anna den Weg ins bürgerliche Leben einzuschlagen. Ein Happy End, mit dem Brecht in späteren Jahren zwar haderte, es aber nicht mehr ändern wollte.

Eine bunte Revue der 1920er-Jahre mit etlichen Showeffekten und vielen zu Herzen gehenden melodramatischen Einsprengseln destillierte Kammerspiele-Hausregisseur Christopher Rüping aus dieser Vorlage. Grelle Szenen zwischenzeitlicher Seelentorturen wechseln hier mit melancholisch angehauchten Stimmungsbildern ab, wenngleich manche Passagen leider nur monoton abgespult werden. Doch toll ist der Regieeinfall, Brechts Anklage gegen den Krieg, mit anschwellend schwülstiger Musik unterlegt, vom Ensemble als von grellem Neonlicht illuminierte Geisterstunde chorisch vortragen zu lassen. Hier wird Kraglers Traum einer friedlichen Welt zum realen Albtraum.

Freilich, die von Brecht am Schluss massiv vorgebrachte Publikumsbeschimpfung reißt heutzutage keinen Theaterbesucher mehr vom Sessel und die an den Türen und den Balustraden der Kammerspiele wie einst angebrachten "Glotzt nicht so romantisch"-Parolen und der rote Mond, der sich als Lampion entpuppt, sind heutzutage nur noch hübsche Reminiszenzen an die Uraufführung von 1922.

Wer jedoch das Brecht'sche Happy End nicht goutieren will, für den bietet Regisseur Rüping bei einigen Vorstellungen - falls die Brecht-Erben dagegen keinen Einspruch erheben - einen anderen Schluss an: Kragler verzichtet auf Anna und schließt sich den Spartakisten-Revoluzzern von 1919 an. Na denn.

Termine am 17., 20. und 26. Dezember sowie am 1. und 12. Januar, Kartentelefon (089) 23 39 66 00.