Zum Reformationsfest Andacht am Geschichtsrad
Glaubenstreue der Exulanten prägt die Region um Thalmässing heute noch

02.11.2021 | Stand 23.09.2023, 21:37 Uhr
Am stimmungsvoll beleuchteten Geschichtsrad verliest Pfarrer Rudi Hackner zusammen mit der Konfirmandin Hanna die Familiennamen, die auf die Exulanten zurückgehen. −Foto: Karch

Thalmässing - Seit 25 Jahren erinnert das Denkmal vor der Kirche St. Marien an die eng mit dem Schicksal der oberösterreichischen Exulanten verwobene Geschichte der Marktgemeinde. Vor über 300 Jahren hatten sie um ihres protestantischen Glaubens Willen ihre Heimat verlassen. Im Land um Stauf fanden sie eine neue Heimat und bauten dort die nach dem 30-jährigen Krieg verlassenen und verwüsteten Dörfer wieder auf. An ihre Frömmigkeit und Glaubenstreue und an die gemeinsame Geschichte der Exulanten und der Alteingesessenen haben die evangelischen Kirchengemeinden, das Dekanat Weißenburg und die politische Gemeinde mit einer Andacht zum Reformationstag erinnert.

"Ihr habt fast alle österreichisches Blut in euren Adern." Nach dem ersten Erstaunen der Konfirmanden, die Pfarrer Rudi Hackner mit dieser Aussage konfrontierte, begaben sie sich auf Spurensuche und wurden schnell fündig - bei den eigenen Familiennamen. Sie zeigten, dass die Vorfahren der Jugendlichen einst aus Österreich gekommen waren, viele davon aus dem Ländlein ob der Enns. Dass sich die Exulanten hier niedergelassen haben, sei ein Glück gewesen, so der Geistliche. "Die Exulanten haben viel dazu beigetragen, dass der Protestantismus in Franken überlebt hat", zeigte sich Hackner überzeugt. "Und diese Glaubenstreue und Unerschrockenheit prägt die Region um Thalmässing auch heute noch." Er blendete mehrere hundert Jahre zurück und schilderte anschaulich die Nöte der Bergbauern in Oberösterreich, die ihrem Glauben abschwören sollten, die Bibel und Gesangbuch verstecken mussten. Ihren Glauben konnten und wollten sie nicht aufgeben, lieber verließen sie ihre Heimat und zogen dorthin, "wo man eine Bibel haben darf".

Der Begriff "Heimat" feiere derzeit eine Renaissance, knüpfte Diakon Lothar Michel an. "Heimat hat mit dem Gefühl zu tun, zu Hause zu sein, sich geborgen und sicher zu fühlen." Dieses Heimatgefühl könne auch die Feier eines Gottesdienstes vermitteln, manchmal werde sie einem aber auch einfach genommen. Die Exulanten mussten sich eine neue Heimat suchen, weil es ihnen verwehrt wurde, evangelisch zu sein. Dafür hätten sie große Opfer bringen müssen, aber auch "die Freiheit eines Christenmenschen entdeckt, die wir Reformation nennen". Das sei heute längst Geschichte, aber wenn man die Geschichte vergesse, wiederhole sie sich. "Nicht 1 zu 1", machte er deutlich und schlug damit einen Bogen in die Gegenwart zur Flüchtlingsproblematik.

Die Zuwanderung aus Oberösterreich in das Oberamt Stauf und Landeck erreichte von 1635 bis 1652 ihren Höhepunkt. 1650 waren 7000 Exulanten im Land um Stauf registriert, in manchen Orten machten sie mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus. "Man baute nach dem Krieg die Dörfer gemeinsam wieder auf. Das Land blühte", berichtete Lothar Michel. Natürlich sei auch hier nicht immer alles glatt gelaufen, aber ab der dritten Generation sei schon untereinander geheiratet worden. "Legen wir die Zukunft in Gottes Hand", forderte Michel auf. "Er zeigt uns überall neue Anfänge, auch wenn sie nicht immer einfach sind."

Von diesem neuen Anfang und der Unabwendbarkeit der Glaubensflucht erzählt auch der Spruch "Es mueß sein", mit dem die neue Informationstafel die Hintergründe des Denkmals erklärt. Dieser Spruch stand auf der Fahne des oberösterreichischen Bauernkriegs. Bewusst habe der Künstler das Geschichtsrad aus schwerem Stein gefertigt, so Kreisheimatpflegerin Eva Schultheiß. " Ein einziger kann es nicht bewegen." Das schwere Rad prägt die Familiennamen, die auf Exulanten zurückzuführen und auch heute noch in Thalmässing zu finden sind, in das Bronzeband am Boden, auf zwei sich vereinende Bänder. Sie stehen für die ursprüngliche Bevölkerung und die Exulanten.

Wie viele Spuren alleine in den Familiennamen auch heute noch hier zu finden sind, wurde deutlich, als Pfarrer Hackner zusammen mit der Konfirmandin Hanna diese Namen vortrug, von A wie Ammesdörfer, Angermeier und Assenbaum über Barth, Dollinger und Ellinger bis hin zu Ziegler.Auch unter den Mitgliedern der Bläsergruppe unter Leitung von Roland Enzenhöfer, die die Andacht stimmungsvoll umrahmte, waren diese Namen zu finden.

Dekanin Ingrid Gottwald Weber, die mit zwei anglikanischen Gästen aus England zu der Andacht gekommen war, zitierte den dänischen Theologen und Philosophen Søren Kierkegaard : "Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden." Sie zeigte sich beeindruckt, dass die Spuren der Glaubensflüchtlinge auch heute noch in der Marktgemeinde zu entdecken seien. "Dieser Landstrich ist von der Frömmigkeit und Haltung derer geprägt, die einst hier ihre Heimat gefunden haben."

Es sei richtig und gut, die Vergangenheit ins Bewusstsein zu rufen, fand dritte Bürgermeisterin Eva Dorner. Ein gutes Beispiel dafür sei das Geschichtsrad, das Geschichte sichtbar mache. Stellvertretende Landrätin Hannedore Nowotny gratulierte Thalmässing dazu, was es aus deiner Geschichte gemacht habe. Thalmässing sei ein wunderbares Beispiel dafür, was es bedeute, offen zu sein, wenn Fremde Zuflucht suchen.

HK

Andrea Karch