Ingolstadt
Glänzende "Dinosaurier"

30.11.2009 | Stand 03.12.2020, 4:27 Uhr

Start zum Internationalen Eifelrennen auf dem Nürburgring am 3. Juni 1934: Manfred von Brauchitsch gewann im Mercedes-Benz W 25.

Ingolstadt (DK) Wer hatte die ersten, die echten Silberpfeile? War es die Auto Union, war es Mercedes-Benz? Zu bewundern sind sie ab morgen – Seite an Seite – im Rahmen der neuen Ausstellung im museum mobile von Audi.

Erfolg hatten beide Silberpfeile – die aus dem Schwabenland und die mit den vier Ringen aus Zwickau. Fast 650 PS aus acht Zylindern beim Mercedes-Benz W 125, rund 520 PS aus dem 16-Zylindertriebwerk im Auto-Union-Typ C, dazu aus heutiger Sicht fahrlässig wenig Sicherheit für die Fahrer der bockigen, mitunter schwer untersteuernden Boliden: Piloten wie Rudolf Caracciola, Manfred von Brauchitsch, Hermann Lang (Mercedes-Benz) oder Bernd Rosemeyer, Hans Stuck und Tazio Nuvolari (Auto Union) wurden damals als Helden verehrt. Und sie müssen heute erst recht als solche bewundert werden.

Immer wieder Gänsehaut

Hans-Joachim Stuck, Sohn von Hans Stuck und selber erfolgreicher Rennfahrer, erinnert sich gerne an seine Fahrten im Auto seines Vaters – im 16-Zylinder-Bergwagen von 1936: "Saugeil", so das kurze Urteil von "Striezel" Stuck. "Unbegreiflich, wie die Teutonen damals Rennen in solchen Wagen gefahren sind. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, dass mein Vater 500 Kilometer auf dem Nürburgring absolviert hat. Das waren Helden, kein Rennfahrer von heute würde diese Distanz durchhalten." Obwohl die Autos so alt sind, begeistert Stuck die Technik: "Während das Fahrwerk abenteuerlich ist, muss man sich wundern, wie gut damals Gasannahme, Kraftentfaltung und das manuelle Getriebe waren." Stucks Fazit: "Ich bin immer wieder begeistert, wenn ich in so einem Auto sitzen darf. So ein Erlebnis ist unglaublich."

Im Sommer fuhr der Brite Lewis Hamilton, Formel-1-Weltmeister 2008, den Mercedes-Silberpfeil W 25 von 1934. Sein Kommentar: "Du musst viel früher bremsen. Beim Lenken fährt man vom Gefühl her wohl eher einen Doppeldeckerbus aus London als ein Rennauto."

Beim Blick 75 Jahre zurück wirken die Silberpfeile wie Dinosaurier: Der W 125 aus dem Jahr 1937 benötigte für seinen trinkfreudigen 5,6-Liter-Achtzylindermotor Spezialtreibstoff: eine aggressive Mischung aus Methylalkohol und Aceton. Und von diesem Gebräu genehmigte sich der Kompressor-Treibsatz 100 Liter auf 100 Kilometer! Am Start stand der Mercedes-Benz mit 240 Liter Kraftstoff, sieben Liter Wasser, neun Liter Motor- und 3,5 Liter Getriebeöl. Rennfertig wog der Bolide nur 1097 Kilogramm.

Aus ähnlichem Holz geschnitzt waren die Auto-Union-Flitzer – silberfarben und mit einem hinter dem Fahrer platzierten Motor. Der 16-Zylinder zum Beispiel schöpfte seine Kraft – immerhin über 850 Nm Drehmoment schon bei 2500 Umdrehungen – aus sechs Litern Hubraum. Und eine einzige Nockenwelle steuerte damals die 32 Ventile. Eine technisch feine Lösung.

Mercedes ließ drei seiner Preziosen ins Audi-Museum nach Ingolstadt transportieren. Im Rampenlicht stehen der Achtzylinder-W 25 von 1934, mit dem von Brauchitsch das Eifelrennen 1934 gewann, der Zwölfzylinder-W 154, der in der Saison 1939 in sieben Rennen fünf Siege einfuhr und der Zwölfzylinder-Rekordwagen W 25 von 1936, den der dreifache Europameister Caracciola zur damaligen neuen Weltrekordmarke von 372 km/h trieb.

Gastgeber Audi zeigt sieben Renner, fünf aus dem Besitz von Audi Tradition: Der 16-Zylinder-Typ C, in dem Rosemeyer 1936 Europameister wurde, der Stromlinienrekordwagen Typ C (16 Zylinder) von 1937, in dem Rosemeyer die magischen 400 km/h durchbrach und 1937 einen neuen Weltrekord aufstellte, der Typ D (Zwölfzylinder, Doppelkompressor) von 1939, der Typ D-Zwölfzylinder-Rennwagen von 1938 und der Bergrennwagen von Stuck aus dem Jahr 1939, der Typ C/D mit 16 Zylindern. Als Leihgaben kommen der Typ A-16-Zylinder-Rennwagen von 1934 und ein Typ D-Doppelkompressor dazu. Wert der zehn Exponate: rund 100 Millionen Euro.

War er nur zu schwer?

Zurück zu den Anfängen der "Silberpfeile", der inoffiziellen Bezeichnung der deutschen Grand-Prix-Rennwagen in den 30er-Jahren. Der erste, so ist überliefert, der ohne lackierte Alu-Außenhaut am Start stand, war ein Mercedes-Benz SSKL. Mit dem fuhr und gewann von Brauchitsch schon 1932 auf der Avus in Berlin. Der deutsche Radioreporter Paul Laven sprach damals vom "silbernen Pfeil".

Audi und Mercedes-Benz, die heuer jeweils ihre eigenen "75 Jahre Silberpfeile" feiern, verwenden das Pseudonym für ihre Renner gleichberechtigt. Wobei eine weitere Episode besagt, im Juni 1934 wäre der Mercedes-W 25 am Vorabend eines Rennens wohl ein Kilogramm zu schwer gewesen. Darauf habe Rennleiter Alfred Neubauer den weißen Lack abschleifen lassen. Beim Rennen glänzte der Wagen mit blanker Alu-Haut – daher der Name "Silberpfeil".