Berlin
Gewerkschaften gehen in Stellung

Tarifverträge von Millionen Angestellten laufen in den kommenden Monaten aus – Arbeitskämpfe sind wahrscheinlich

30.12.2015 | Stand 02.12.2020, 20:22 Uhr

Berlin (AFP) Das kommende Jahr wird geprägt sein von vielen Tarifverhandlungen. 2016 werden die Verträge für bundesweit knapp zwölf Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neu ausgehandelt. Konkrete Tarifforderungen der Gewerkschaften stehen bei fast allen Tarifrunden noch aus.

Im Mittelpunkt stehen aber höhere Löhne: „Bei der Tarifrunde 2016 wird es vornehmlich um Löhne und Gehälter gehen. Ich denke, dass ein Spielraum für 3,0 bis 3,5 Prozent Lohnsteigerungen im Durchschnitt sicherlich möglich ist“, sagt Norbert Bispinck, Tarifexperte des wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Zu Arbeitskämpfen könnte es bereits ab Februar kommen. denn der 31. Januar ist der Tarifvertrags-Kündigungstermin unter anderem für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Bayern mit knapp 132 000 Beschäftigten und für die Deutsche Telekom mit ihren rund 50 800 Beschäftigten. Verdi fordert für die Telekom-Mitarbeiter fünf Prozent mehr Lohn.

Am 29. Februar ist der Kündigungstermin für den Öffentlichen Dienst von Bund und Gemeinden und damit für 2,4 Millionen Beschäftigte. Noch mehr Arbeitnehmer sind in der Metall- und Elektroindustrie betroffen: Für 3,5 Millionen Beschäftigte ist der 31. März der Stichtag.

Die IG Bauen Agrar Umwelt ist zuständig für die Verhandlungen für die knapp 700 000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe. Hier ist der 30. April der Kündigungstermin. Und die mächtige Dienstleistungsgewerkschaft Verdi unter Vorsitzendem Frank Bsirske streitet für die 235 000 Arbeitnehmer im Bankgewerbe.

„Es ist ein außergewöhnliches Jahr, Verdi hat viele Tarifverträge abzuschließen“, sagt Norbert Reuter, ab Januar neuer Verdi-Tarifchef. „Was in der Vergangenheit zum Nachteil der Beschäftigten als Verteilungsproblem entstanden ist, wollen wir ein Stück wettmachen.“ Bei der Altersversorgung werde es darum gehen, Versuche der Arbeitgeber abzuwehren, die Ansprüche angesichts der niedrigen Zinsen zurückzufahren.

Der Verhandlungsführer für die IG BCE, Peter Hausmann, bereitet sich auf die Kündigungstermine für die chemische Industrie vor. In Bayern ist es der 31. August. Betroffen sind mehr als eine halbe Million Beschäftigte bundesweit. „Der chemischen Industrie geht es im Schnitt gut“, sagt Hausmann. Die wirtschaftlichen Grundlagen für ein Wachstum der Einkommen seien gut. Natürlich gebe es Bereiche mit Problemen: „Bei den Mineralölfirmen sind bestimmte Dinge spürbar.“ Auch die wirtschaftliche Situation in der Energiebranche, etwa bei RWE oder Vattenfall, sei natürlich anders zu beurteilen.

Ab Oktober müssen dann wieder die Bahn-Kunden zittern. 196 000 Beschäftigte, die von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft und von der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) vertreten werden, hoffen dann auf mehr Lohn. Doch der berüchtigte GDL-Chef Claus Weselsky beruhigt: „Die Tarifverhandlungen müssen nicht spektakulär verlaufen.“ Ein „Riesenproblem und ein Gefahrenpotenzial“ sieht er dagegen bei den Piloten. „Hier soll zelebriert werden, dass gut organisierte Berufsgewerkschaften keinen Erfolg haben dürfen. Ich bin mir ganz sicher, dass sich das die Kollegen nicht gefallen lassen.“ Der Chef der Lokführer-Gewerkschaft prophezeit: „Ich glaube, dass die Gewerkschaftsbewegung 2016 forscher unterwegs sein wird.“