München
Gesichter Chinas

Schweizer Fotografen Mathias Braschler und Monika Fischer stellen im Literaturhaus München ihre Bilder aus

09.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:31 Uhr

 

München (DK) Wer sind die Chinesen? Das fragten sich die Schweizer Fotografen Mathias Braschler und Monika Fischer 2007, ein Jahr vor den Olympischen Sommerspielen in Beijing. Antworten fanden sie auf ihrer acht Monate dauernden und 30 000 Kilometer langen Fahrt durch das Land.

Mitgebracht haben sie Porträts aus allen Regionen und allen sozialen Schichten des fast 1,4 Milliarden Menschen umfassenden Volkes, in dem es neben der Mehrheit der Han-Chinesen 55 offiziell anerkannte Minderheiten gibt. 46 ausgewählte Fotografien, aufgezogen auf Dibond-Platten in Formaten von 65 x 85 bis 100 x 100 Zentimeter, zeugen im Literaturhaus München von dieser Reise.

Es sind mehr als inszenierte Porträts, aufgenommen im Groß- oder Mittelformat in analoger Fototechnik. Die Bilder, viele sogar mit Blitz fotografiert, erzählen Geschichten. Denn der 1969 geborene Braschler, der sich nach einem abgebrochenen Geografiestudium das Fotografieren selbst beibrachte, und seine zwei Jahre jüngere Partnerin, die mehrere Jahre als Dramaturgin am Opernhaus Zürich arbeitete, setzen darauf, dass die Bilder mehr sind als Dokumentation eines Moments.

Vielmehr erinnern sie in ihrer Ästhetik an alte Meister der europäischen Porträtmalerei, sagte Ulrich Wilmes, Chefkurator des Haus der Kunst München, während der Eröffnung der Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der Audi AG entstand. Die Porträts wahren aufgrund der besonderen Perspektive stets die Würde der Abgebildeten, indem sie von unten fotografiert wurden. Die Fotografen befanden sich nicht einmal auf Augenhöhe.

Es gibt archaische Szenen auf dem Land wie vor hundert Jahren neben modernster Urbanität. „Wir kamen uns oft wie auf einer Zeitreise vor“, erzählte Monika Fischer und verwies auf den Bauern, der mit einem Wasserbüffel ein winziges Stück Land beackert – nur 50 Kilometer entfernt von einem der vier Weltraumbahnhöfe Chinas. Die Blicke und Posen lassen atmosphärisch eindrücklich die individuelle Geschichte und zugleich den Wandel Chinas vom Agrar- zum Industriestaat mit allen Brüchen und allem Leid erleben. Auffallend in den Gesichtern sind das Selbstbewusstsein und der Stolz trotz prekärer, gar entwürdigender Lebensbedingungen, die Zukunftsträume, Erlebtes und das Jetzt lebendig werden lassen.

So schweift der Blick des Präsidenten und Gründers des Automobil- und Motorradherstellers Lifan, des 70-jährigen Yin Mingshan, in die Ferne. Er saß als ein Anhänger Deng Xiaopings während der Kulturrevolution (1966–1976) und sogar bis 1978 im Gefängnis. Der bieder mit seiner Aktentasche posierende Umweltaktivist Zhang Zhengxiang (58) blickt zufrieden geradeaus, hat doch der ehemalige Schweinebauer erreicht, dass der durch Industrieabwässer verseuchte Dian-See sich langsam wieder erholt.

Die typische Ein-Kind-Familie aus dem Dorf Huaxi nordöstlich von Shanghai, ist modern gekleidet wie hierzulande. In ihrer schäbigen Praxis blickt die Gynäkologin, die auch für die Geburtenkontrolle zuständig ist, ernst in die Kamera. Wie ein Filmstar posiert die 22-jährige Bankangestellte Zhao Helene Lingxi im Badeort Beidahe. Dort, wo einst nur hohe Parteifunktionäre weilten, genießt heute die obere Mittelschicht Sonne, Strand und Meer. Der Abt des Shaolin-Klosters von Henan repräsentiert im prächtigen Mönchsgewand als Abgeordneter die Geistlichkeit im Nationalen Volkskongress. Und die 58-jährige Medienikone Yue-Sai Kan, vom People Magazine zur berühmtesten Chinesin gekürt, zeigt ihren Besitz mit Schmuck und Schminke. Wer sind nun „die Chinesen“? Nachforschen kann man im Bildband und im Literaturhaus.

Ausstellung bis 25. Mai im Literaturhaus München, Mo–Fr 11–19 Uhr.

Bildband „China“ von Mathias Braschler und Monika Fischer, Hatje Cantz Verlag, 160 Seiten, 39,80 Euro.