Riedenburg
Geschliffene Literatur

23.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:47 Uhr
Bei der neuen Sonderausstellung im Riedenburger Kristallmuseum zeigt Edelsteingraveur Andreas Roth Kameen zur Faustdichtung aus der Feder Johann Wolfgang von Goethes. −Foto: Schmied, Kathrin, Schwabstetten

Riedenburg (DK) Da steh' ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. Dieser oder ein ähnlicher Gedanke dürfte Hans Dieter Roth in jenem Moment durch den Kopf gegangen sein.

An Goethes "Faust" hat der Edelsteingraveur damals wohl noch nicht gedacht. Und doch: Ein Missgeschick beim Gemmenschneider legte den Grundstein für einen Großkameenzyklus, den Hans Dieter Roth und sein Sohn Andreas schufen und der ab 1. März im Kristallmuseum in Riedenburg zu sehen sein wird. 14 Objekte versammeln sich unter dem Titel "Kostbarer Faust" und warten darauf, von den Besuchern entdeckt zu werden.

Vom Rohsteinhändler, erzählt Andreas Roth, habe sein Vater einen großen Stein, mit 110 Kilogramm ein wahres Schwergewicht, erworben. Von außen, so sei das immer, sehe man allerdings nicht, wie das Grundmaterial für die künstlerische Ausarbeitung beschaffen ist. Das erkenne man erst, wenn der Stein geschnitten ist. "Ein Schnitt hat in diesem Fall acht Stunden gedauert. Weil wir eine Scheibe wollten, wurden zwei Schnitte gemacht", erzählt Roth. Das Ergebnis: "Ein Sechser im Lotto. Er war perfekt. Mein Vater sprach von einem Jahrhundertstein." Ab damit zum Färben.
 

Wie der Name schon sagt, besteht der verwendete Lagenachat aus verschiedenen Schichten. Die weiße ist nicht färbbar, die graue schon. Braun, Schwarz, Gelb, Grün, Blau oder Rot. Das Verfahren? "Betriebsgeheimnis", sagt Andreas Roth. Nur soviel: "Durch das anschließende Brennen wird die Farbe im Stein versiegelt." So sollte es nun auch mit dem Jahrhundertstein geschehen. "Der Edelsteinfärber hat bei der Begutachtung allerdings eine wässrige Lage festgestellt, die vorher weggeschliffen werden sollte, damit die Färbung einheitlich wird", erinnert sich Roth. Und dann? Ein Missgeschick. Ein falscher Schnitt. Der Jahrhundertstein in zwei Stücke zerteilt. "Ein Schock für meinen Vater."

Monatelang hätte der verhunzte Achat in der Schublade ein trauriges Dasein gefristet. Bis eines Tages der Nachbar, Herr Faust - "Kein Witz", sagt Andras Roth - vorbeischaute, ebenfalls Edelsteingraveur und zudem kunsthistorisch interessierter Germanist. Und der hatte den entscheidenden Einfall. Warum, so fragte er Vater und Sohn, verewigt ihr nicht Goethes Faust, den Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und und dem teuflischen Mephisto um die Seele des Doktor Faustus auf dem zweiteiligen Stein? Das böte sich doch an, so Schwarz und Weiß wie der Achat sei. Die Idee war geboren. Das erste und gleichzeitig das Herzstück eines der filigransten und umfangreichsten Erzeugnisse in der Geschichte der Steinschneidekunst nahm Form an.

Gretchen, Fausts junge Geliebte, am Brunnen auf der einen Hälfte, die Hexen auf dem Brocken auf der anderen. Faust in seiner Studierstube auf der einen, Mephisto vor dunklem Gewölk auf der anderen Hälfte. Der Vater hat die weltweit größte beidseitig geschliffene Kamee angelegt, der Sohn die Details ausgearbeitet. An der dünnsten Stelle misst die passgenau zusammengesetzte Platte nur mehr acht Millimeter. Eine Herausforderung, die 2200 Arbeitsstunden verlangte. "Sechs Jahre bis zur Fertigstellung", sagt Andreas Roth.

Dem ersten Stück folgten sieben weitere Kameen zu "Faust I" und sechs zu "Faust II". Bei der Arbeit in der heimischen Werkstatt im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein kommen dabei Diamantwerkzeug - "30 Prozent davon stammen aus dem Zahnarztbedarf", verrät Roth - sowie Holz und Filz zum Polieren zum Einsatz. Besonders wichtig sei eine ruhige Hand. Denn: "Was weggeschliffen ist, ist weg." Räumliches Vorstellungsvermögen gehört ebenso zum Handwerkszeug. Schließlich arbeitet Andreas Roth von oben nach unten, von der Nasenspitze Gretchens hinunter zum pechschwarzen Nachthimmel. Jedem Detail kommt dabei eine Bedeutung zu, daneben der Form der Kamee und sogar den Fassungen. Eine künstlerische Entdeckungsreise durch die Weltliteratur.

Kein Wunder, dass sich Sabine Scholz-Veits und ihr Mann Karl-Heinz sehr darüber freuen, die Sonderausstellung "Kostbarer Faust" in ihrem Kristallmuseum zeigen zu können. Kennengelernt habe man sich über Geschäftsfreunde. Geplant gewesen sei es schon lange. "Nun hat es endlich geklappt", sagt Scholz-Veits. Von 1. März bis einschließlich 1. November sind Museum und Ausstellung täglich ab 9 Uhr geöffnet, im März und Oktober bis 17 Uhr von April bis September bis 18 Uhr. An den Eintrittspreisen ändert sich nichts.