Neustadt
Geschäftsfrau wollte sie nie werden

Dennoch steht die 89-jährige Maria Bazin noch heute in ihrem Schmuckladen

26.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:18 Uhr

Maria Bazin und ihre Gundi: „Sie ist mein Heiligtum. - Foto: Scholtz

Neustadt (DK) Nein, Geschäftsfrau hat sie nie werden wollen. Und schon gar nicht in ihrer Heimat. Doch es kam alles anders. Seit 64 Jahren lebt Maria Bazin nun in Neustadt. Und noch heute steht die 89-Jährige hinter dem Ladentisch ihres Schmuck- und Uhrengeschäfts.

„Ich war ein richtiges Bauernmädel“, sagt Bazin. Auf dem elterlichen Hof in Mauern, einem heutigen Ortsteil von Neustadt, ist sie aufgewachsen. Sie musste schon früh mit anpacken. Dann vermachte der Vater den Hof dem Bruder und in Maria zerbrach der Traum vom Leben als Bäuerin. Jetzt träumte sie von einem Neuanfang weit weg von Mauern – aber rein gar nicht im nahen Neustadt.

„Bitte läuten“ steht auf dem Schild an der Tür zu dem kleinen Schmuck- und Uhrenladen. Die Kunden müssen die Klingel bedienen, bevor sie von Maria Bazin eingelassen werden. Ein Schutz, mit dem sich die heutige Geschäftsfrau seit dem brutalen Überfall vor acht Jahren absichert.

Um 9 Uhr früh betrat damals ein junges Paar den Laden: Der Mann überwältigte die völlig überraschte Besitzerin, drängte sie hinaus in den Flur, wo er sie auf der Treppe niederdrückte. Maria schrie, doch niemand auf dem belebten Bürgersteig draußen schien sie zu hören. Die Komplizin des Räubers räumte derweil in Seelenruhe den Laden aus. Oben in der Wohnung leerte sie noch zwei Geldbörsen, die sie im Küchenschrank entdeckt hatte. „Für mich hat sie gerade noch 20 Euro liegen gelassen“, erinnert sich das Opfer.

Ein Albtraum, der den Traum von der großen Freiheit fast ausgelöscht hat. Freiheit sucht Maria Bazin mittlerweile bei ihren Radl-Ausflügen in die Umgebung und beim Schwimmen.

Der Freiheit glaubte sich die junge Maria ganz nahe in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auf vielen Bauernhöfen waren im Krieg Gefangene als Arbeitskräfte eingesetzt worden. So auch bei einer Freundin. Die verliebte sich in einen charmanten Franzosen und schnell wurden die beiden ein Hochzeitspaar. Maria fing Feuer beim Freund des Bräutigams. „Mit ihm hatte ich die Chance, endlich raus in die weite Welt zu kommen.“ Recht nüchtern erklärt sie heute ihren damaligen Entschluss.

Maria ist 24 Jahre alt, als sie den um 28 Jahre älteren Jakob Bazin heiratet. Er ist Uhrmacher, „ein sehr guter“, das merkt seine Frau schnell. Doch statt mit ihr nach Frankreich zurückzukehren, bleibt Jakob in Neustadt. „Da war ich wie am Boden zerstört,“ erinnert sich Maria Bazin.

Dann kam die Wut über den zerplatzen Traum. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich nie geheiratet,“ hat die junge Ehefrau ihrem Mann eines Tages an den Kopf geworfen. Heute lacht sie darüber: „Damals, da war ich schon ein bisserl geschockt über meinen Ausbruch.“ Jakob schien zudem tief verletzt. „Mit einem Fetzenrausch ist er in der Nacht heimgekommen.“ Daran erinnert sich die damalige Uhrmachergattin noch „so, als wär’s gestern gewesen“.

Maria Bazin fügte sich. 1950 eröffneten die beiden ein Geschäft am Kirchplatz, das so gut lief, dass das Ehepaar ein Jahr später in den heutigen Laden umzog – ein Neubau mit Wohnung direkt darüber. Zwar nur eine Küche mit kleinem Schlafzimmer und Toilette auf dem Gang, „doch wir waren glücklich und zufrieden“.

Als der Sohn geboren wurde, kamen ein Kinder- und größeres Schlafzimmer samt Bad dazu. Hier lebt Maria Bazin bis jetzt. Den Schock des Überfalls hat sie längst verarbeitet. Geholfen haben ihr dabei aktive Mitglieder des Weißen Rings, einer Organisation, die sich um Opfer von Verbrechen kümmert: „Die waren und sind auch heute noch immer für mich da“, sagt Maria.

Jeden Tag steht sie in ihrem Geschäft. Auch nach dem Tod ihres Mannes hat sich dort nicht viel geändert. Während Jakob an seinem Uhrmachertisch saß, erledigte seine Frau Haushalt, Einkauf sowie Buchhaltung und dekorierte die Schaufenster: „Da habe ich oft gedacht: Jetzt lieber barfuß den Schweinestall ausmisten, als Schmuck und Uhren ordentlich auslegen.“ Inzwischen hilft ihr der Sohn, der regelmäßig vorbeischaut. „Komplizierte Reparaturen gebe ich zum Mayer.“ Das ist das Uhren-, Schmuck- und Optikgeschäft gleich nebenan.

Vor ihrem 90. Geburtstag will Maria Bazin Schluss machen. „Ich glaube, da wird’s Zeit,“ sagt die gesellige Oma, die es liebt, „wenn sich was rührt“. Die meisten Gleichaltrigen sind jedoch weggestorben, gehen nicht mehr aus dem Haus oder sind bettlägrig. Bleiben noch der Stammtisch und die Kunden, die ihr längst zu Freunden geworden sind.

Langeweile kommt daher so gut wie nie auf. Und jetzt schon gar nicht, da Maria Bazin ihr Konzept für Rabattwochen entwirft. „Die biete ich mit Pausen dazwischen immer wieder an. So lange, bis die Leute meinen Laden leer gekauft haben.“ Sagt’s, steigt auf ihr Rad und saust in ihre große Freiheit.