Nürnberg
Gemeinsam gegen die "Trassenlüge"

Netzentwicklungspläne lassen regionale Naturschützer und Energieerzeuger zusammenrücken

25.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:44 Uhr

Vereint gegen den Ausbau von Höchstspannungstrassen zeigen sich der Energieversorger, der Bund Naturschutz, Trassengegnerverbände und ein Landrat. - Foto: Wraneschitz

Nürnberg (HK) Bei der N-Ergie AG Nürnberg hat ein ungewöhnlicher Schulterschluss zwischen den Stadtwerken, Stromtrassengegnern, Bund Naturschutz (BN) und Kommunalvertretern stattgefunden. Es geht um die "Trassenlüge".

"Diese Situation aus N-Ergie, BN und den Initiativen spannend und kreativ" findet Armin Kroder, Landrat aus dem Kreis Nürnberger Land. Leider komme "die Wahrheit: Die Kohletrassenlüge" in den Medien zurzeit nicht vor. Dennoch glaube er "an eine gute Energiewende, regional und dezentral. Und deshalb bin ich auch gegen Monstertrassen."

"Trassenlüge": Dieses Wort dominiert den Raum, in großen Lettern steht es auf Banderolen neben der Bühne. Aber was genau bedeutet es? Lorenz Jarass, Berater von Bundesregierung und EU-Kommission, erklärt es anhand von "Daten der Bundesnetzagentur (BNetzA), die wir herausgeklagt haben" so: "Die durch Bayern geplanten Leitungen sind ausschließlich für die ostdeutschen Kohlekraftwerke notwendig." Windkraftwerke in Norddeutschland seien jedenfalls nicht der Grund für über 10 000 Kilometer neu geplante Höchstspannungsleitungen, auch wenn Bundesregierung, BNetzA, Braunkohleausbuddler oder Übertragungsnetzbetreiber anderes behaupteten.

"Weil die konventionellen Kraftwerke auch dann einspeisen dürfen, wenn die Erneuerbaren Energien viel Strom produzieren, wird das bestehende Stromnetz überlastet", sagt Jarass. Genau deshalb stünden neue Leitungen im "Netzausbaubeschleunigungsgesetz" und im stetig aktualisierten Netzentwicklungsplan. Aber damit die Kohlekraftwerke nach und nach abgeschaltet werden können, müsse man zuerst "das Energiewirtschaftsgesetz ändern: Das Einspeiserecht für konventionelle Energien muss weg. So lange hilft auch kein Einspeisevorrang für Erneuerbare", da ist er sicher.

Ohnehin könne man wesentlich mehr Strom durch bestehende Leitungen schicken, ohne Netzausbau, sondern mit "Leiterseilmonitoring" - billigen Temperatursensoren. Stattdessen würden mit dem "unnötigen Übertragungsnetzausbau" die Durchleitungsgebühren vor allem für Normalstromkunden und der Mittelstand weiter steigen. Die machten bereits einen Großteil der Stromrechnung aus.

Von einer "Kostenexplosion" durch neue Gleichstromtrassen spricht Rainer Kleedörfer, Prokurist bei der N-Ergie. Stattdessen fordert er: Weniger Leitungsausbau, dafür dezentrale Speicher und Gaskraftwerke bauen, um Lastspitzen zu decken. Zumal das viele Geld in neue Übertragungsnetze ohnehin "oft bei angelsächsischen Finanzhaien landet". Denn Anfang des Jahrtausends übernahmen auch ausländische Fondsgesellschaften die hiesigen Übertragungsnetzbetreiber. Nun fordert Kleedörfer: "Das Übertragungsnetz muss mehrheitlich in die Hand des deutschen Steuerzahlers zurück." Einen Seitenhieb gibt es für die BNetzA: "Die nimmt die Gewaltenteilung nicht mehr ernst, macht inzwischen Gesetzgebung." Das zu ändern wolle sein Konzern "massiv gemeinsam mit der Wissenschaft, Bürgern, Organisationen an die Politik herantragen. Gemeinsam haben wir eine Chance."

Da ist Herbert Barthel gerne dabei. "Gemeinsam Politik mit Ihnen machen, dieser Versuch ist schon etwas Besonderes", gibt der Energiereferent des BN zu. Denn dass die N-Ergie eine Studie "Dezentralität und zellulare Optimierung - Auswirkungen auf den Netzausbaubedarf" bei Prognos und anderen in Auftrag gab und dann auch noch zum "Bestandteil des Geschäftsberichts 2016" macht, das ist nicht üblich in der Welt der Energiekonzerne.

Barthel gibt zu, es sei "schwer, bestehende Leitungen abzubauen. Aber für jede neue braucht es einen Rechtfertigungsgrund." Den aber hätten Regierung wie Netzagentur bis heute nicht geliefert. "Wir lehnen die Netzausbauplanung ab, weil wir die Aussagen nicht glauben. Auch die dramatischen Anforderungen an das 1,5-Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz stehen dabei nicht im Blick", habe der BN festgestellt. Weshalb auch der Umweltverband BN "gemeinsam eine Energiekonzeptplanung für ganz Deutschland erzwingen" wolle, bestätigt Barthel.