Neuburg
Gemälde falsch interpretiert

Vermeintliche Wilgefortis-Darstellung im Stadtmuseum ist wohl nur ein "Symbolbild für Frömmigkeit"

21.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:05 Uhr
Nach dem Vortrag diskutierten Referentin Ulrike Wörner, Kreisheimatpfleger Manfred Veit (rechts) und Museumsleiter Michael Teichmann gemeinsam über das Gemälde im Stadtmuseum, das jahrelang als Wilgefortis interpretiert worden ist. −Foto: Hammerl

Neuburg (DK) Die Inventarliste des Stadtmuseums Neuburg braucht eine Korrektur: Denn das bislang als Wilgefortis geführte Bild aus dem Jahr 1678 zeigt nach neuesten Erkenntnissen gar nicht die Volksheilige ("heilige Kümmernis") aus dem deutschen Sprachraum.

Ulrike Wörner, promovierte und freischaffende vergleichende Kulturwissenschaftlerin, stellte in ihrem Vortrag zum Internationalen Museumstag klar, dass es sich keineswegs um eine Darstellung der Wilgefortis handele, sondern um "ein Symbolbild für Frömmigkeit beziehungsweise Spiritualität im Sinne der Imitatio Jesu nach Thomas von Kempis". Thomas von Kempen, um 1380 geboren, war Augustinerchorherr, Mystiker und Schriftsteller.

Somit verfolgt das Gemälde, zu dem die Kulturwissenschaftlerin die Neuburger ausdrücklich beglückwünschte, genau gegensätzliche Ziele zu Wilgefortis-Darstellungen, wie Wörner in ihrem Vortrag herleitete. Historische Vorbilder für die legendäre Wilgefortis seien die heilige Julia (gekreuzigt im Jahr 439 auf Korsika) und die heilige Eulalia (gekreuzigt im Jahr 405) gewesen, die jedoch überwiegend regional und örtlich begrenzt verehrt wurden. "Obwohl sie kein historisches Vorbild hat und ihr Kult erst im späten Mittelalter entstanden ist, zählt Wilgefortis zu den großen Jungfrauenheiligen", erklärte Wörner. Sie alle hätten eine ähnliche Biografie, erlitten ihr Martyrium, weil sie Zwangsverheiratung ablehnten. Der Legende zufolge war Wilgefortis eine Königstochter, deren heidnischer Vater sie zur Ehe zwingen und durch Haft gefügig machen wollte. Nachdem Wilgefortis gebetet hatte, er möge sie hässlich machen, wuchs ihr ein Bärtchen. Daraufhin ließ ihr Vater sie kreuzigen. Der Wilgefortis-Kult verbreitete sich europaweit, ursprünglich von Flandern und den Niederlanden ausgehend. Die Heilige sei, so Wörner, zur Sinngestalt der religiösen Frauenbewegung des ausgehenden 14. Jahrhunderts geworden, die die Frauen unabhängig von der männlich dominierten Kirche machte, ihnen einen eigenen Weg zur Spiritualität wies. Besonders Nonnen und Beginen sahen in Wilgefortis sowohl Erlöserin als auch Vorbild für ihren eigenen Lebensentwurf. Auch junge Adlige verehrten Wilgefortis, zumal ihnen häufig das Schicksal der Zwangsverheiratung drohte. Dagegen dienten Bilder wie das Neuburger Exemplar - wie in dessen Titel "Konterfei eines recht geistlichen Klostermenschen" bereits angedeutet - dazu, Ordensleute an ihre Pflichten zu erinnern, also ganz im Sinne der Kirche. Beide hätten jedoch in der Kreuzesmystik einen gemeinsamen Kern. "Wilgefortis ist eine Fürsprecherin, an die ich mich wende", fasste Kreisheimatpfleger Manfred Veit zusammen, "unser Bild ist dagegen kein Gnadenbild, sondern ein Lehrbild, eine Handlungsanweisung zu kontemplativem Verhalten für Ordensleute". Wie anschließend Stadtheimatpfleger Roland Thiele - mittlerweile Ehrenmitglied beim Historischen Verein - plädierte auch Veit dafür, die Bezeichnung für das Neuburger Bild zu korrigieren. Beide wiesen darauf hin, dass das Bild aus einem Nachbarhaus des Karmeliterinnenklosters stammt, was zu Wörners Interpretation passe. Die Kulturwissenschaftlerin war bereits am Vortag angereist, um das Gemälde eingehend zu untersuchen, wie Museumsleiter Michael Teichmann anmerkte. Wörner betonte den androgynen Charakter des Bildes. Was als Bart interpretiert worden war, sei lediglich eine Verschattung und auch die Ikonografie deute keineswegs auf Wilgefortis hin. So fehle beispielsweise die Dornenkrone. Wörners Vortrag erbat Teichmann für das Kollektaneenblatt -dort hatte es 2011 noch eine ganz andere Beschreibung dieses Bildes gegeben.

Andrea Hammerl