Ingolstadt
Geliebt und gehasst

Am Medizinball scheiden sich die Geister – Eine Ausstellung zeigt seine Karriere von 1919 bis 1938

12.02.2013 | Stand 03.12.2020, 0:30 Uhr

Späte Freundschaft: Marion Ruisinger hat den Medizinball im Sportunterricht gehasst. Mittlerweile hat sich die Leiterin des Medizinhistorischen Museums mit dem Gerät ausgesöhnt – jedenfalls als Objekt für die nächste Ausstellung, die ab 28. Februar zu sehen ist - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Der Medizinball weckt Emotionen. Die einen trainieren gern damit, die anderen lehnen ihn rundweg ab. Im Deutschen Medizinhistorischen Museum entsteht gerade eine kleine Ausstellung, die der Geschichte des Geräts und seiner Bedeutung in Sport, Medizin und Politik nachgeht.

Marion Ruisingers Verhältnis zum Medizinball ist zwiespältig. Im Sportunterricht hat die Leiterin des Museums den „blöden Ball“ gehasst, „weil er all meine Schwächen zutage brachte“. Und weil er sie an speckige, abgegriffene Lederbälle und stinkende Turnhallen erinnerte und „an Übungen, deren Sinn die meisten nicht begriffen, die aber gern Spuren hinterließen“. Blaue Flecken, gezerrte Muskeln, verstauchte Gelenke. Inzwischen kann Ruisinger dem Medizinball auch positive Seiten abgewinnen – seit sie ihn als Ausstellungsobjekt entdeckte.

Das liegt zehn Jahre zurück. Damals tauchte im Gespräch mit Kollegen die Frage auf, was der Medizinball mit der Medizin zu tun habe. Marion Ruisinger und Karin Stukenbrock, heute Leiterin der Zweigbibliotheken Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle, gingen den Spuren des Sportgeräts nach. Die Suche führte sie in Sammlungen, Bibliotheken und Archive und zurück in die Zeit der Weimarer Republik.

Nach dem Ersten Weltkrieg war der Medizinball aus den USA importiert worden. William Muldoon gilt als sein Erfinder und setzte ihn beim Boxtraining ein. In Deutschland machte der Lederball, von Hand genäht und ebenso von Hand in einer dreistündigen Prozedur prall mit Rentierhaar gefüllt, Karriere in der „deutschen Gymnastik“. Deren wichtigster Vertreter, Hans Surén, war zudem ein Verfechter der Freikörperkultur. Auf den Abbildungen seiner Anleitungen zeigen gerne nackte Sportler die Übungen. In einer Art Peepshow werden in der Ausstellung einige zu sehen sein.

Den Medizinball entdeckte quasi auch die Politik. Nach dem verlorenen Krieg herrschte Angst vor Verweichlichung. Und so diente der schwere und unhandliche Vollball auch der „Wehrertüchtigung“, obwohl es zunächst fast gar kein Militär gab. Medizinisch wurde das Gerät vor allem in der Physiotherapie eingesetzt.

Die kleine Ausstellung „Der Medizinball. Grenzgänger zwischen Sport, Medizin und Politik“ zeigt von 28. Februar bis 20. Mai die Karriere des Balls zwischen 1919 und 1938 aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Eine Hörstation ergänzt die historische Sicht durch Kurzinterviews von Ingolstädtern, die von ihren Erinnerungen an das Sportgerät erzählen. Auf der Facebook-Seite des Museums läuft bereits eine Umfrage zum Thema. Die Antworten sind meist negativ und zeigen, dass Marion Ruisinger mit ihrer Hassliebe nicht allein ist. Bei ihr hat die Enttraumatisierung schon funktioniert.