Ingolstadt
Geld verdienen, wenn andere schlafen

04.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:07 Uhr

Foto: Horst Richter

Ingolstadt (DK) Der Gedanke, in aller Frühe aufzustehen, um zur Arbeit zu gehen, mag manche Menschen erst einmal abschrecken. Margit Weiß hat damit kein Problem, wenn kurz nach 2 Uhr der Wecker klingelt. "Ich bin schon immer Frühaufsteherin gewesen", sagt sie. Die Ingolstädterin mag es, den Tag kommen zu sehen, das fahle Morgenlicht, die ersten Sonnenstrahlen, selbst an kalten Wintertagen. "Die Luft ist eine ganz andere als tagsüber." Die 55-Jährige trägt seit Jahresbeginn für den DONAUKURIER die tägliche Zeitung aus, jeden Morgen, außer an Sonntagen. "Ich bin ein ganz neuer Mensch geworden, seit ich das mache. Viel entspannter und ausgeglichener."

Margit Weiß hatte nach ihrem Schulabschluss den Beruf der Hauwirtschafterin erlernt, war später aber schon bald in den Verkauf gewechselt. Zuletzt hatte sie länger im Logistikbereich in einem großen Unternehmen gearbeitet. Ein Knochenjob. Den ganzen Tag hieß es Pakete sortieren, aufladen und in die verschiedenen Abteilungen der Firma transportieren. "Ich bin abends oft völlig kaputt heimgekommen. Da fällst du bloß noch todmüde aufs Sofa und schläfst oft vor dem Fernseher ein. Das war wirklich kein Leben mehr." Die schlanke Frau mit dem flotten Kurzhaarschnitt denkt ungern an diese Zeit zurück.

Die 55-Jährige hat sich verändert und trägt jetzt Zeitungen aus. Geschenkt wird ihr freilich auch als Zustellerin nichts. Disziplin, Pünktlichkeit, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit sind gefragt, ein absolutes Muss. Auch Freundlichkeit den Abonnenten gegenüber. "Aber die Arbeit ist eine ganz andere", sagt Margit Weiß. Anfangs musste sie sich erst orientieren, sie trägt in den Bezirken Gerolfing und Ingolstadt-Haunwöhr aus. "Da schaust du erst noch bei jeder Straße auf die Zustellliste, aber nach ein paar Tagen weißt du das alles schon auswendig."

Es ist Freitagmorgen, Margit Weiß fährt mit ihrem Ford Fiesta um 2.30 Uhr am DONAUKURIER-Verlagsgebäude vor. Sie holt ihre erste Fuhre ab, zunächst geht es nach Gerolfing. Die gebundenen Stapel liegen schon in einem Einkaufswagen bereit, die Ausgabe für Ingolstadt und das Umland ist gerade erst frisch aus dem Druck gekommen. Fleißige Hände haben sortiert, was Maschinen zuvor automatisiert vorbereitet hatten. Ein kurzer Blick auf die Papiere, dann schiebt die Ingolstädterin die Ladung in einem Einkaufswagen zum Auto: Knapp 100 Ausgaben muss sie in dem Stadtteil zustellen, sie teilt sich die Ortschaft mit anderen Zustellern.

Pünktlich um 2.45 Uhr trifft sie in Gerolfing ein, jetzt geht es Schlag auf Schlag. Mit erstaunlicher Routine stellt Margit Weiß die Zeitungen zu, dabei ist sie erst kurz "im Geschäft". Flott nimmt sie mit ihrem Ford die nächste Kurve, steigt auf die Bremse, greift sich wieder ein paar Ausgaben, öffnet die Tür und wirft die Zeitungen da und dort ein. "Am Anfang habe ich ein paar Briefkästen nicht gefunden, aber jetzt kenne ich sie alle", sagt sie - auch den, der sich nahezu unsichtbar in einer Balkonverkleidung versteckt. Gegen 4 Uhr, die ersten Amseln stimmen ihr Morgenlied an, ist der Beifahrersitz leer. Geschafft! Jetzt aber schnell zurück nach Ingolstadt, es stehen noch zwei Touren an. "Ich mach' das hier wirklich gern!"

Der Spaß an der Tätigkeit ist die eine Sache, aber stimmt es denn auch mit der Bezahlung? Überrascht sei sie gewesen, als sie von den Möglichkeiten einer Teilzeitanstellung für diese Tätigkeit erfuhr, erzählt Margit Weiß. "Ich verdiene Geld, wenn andere noch schlafen, bin sozialversichert und zahle für die Rente ein. Was will ich mehr" Wenn sie nach der Tour heim in ihre Wohnung im Ingolstädter Norden kommt, beginnt für andere erst der Tag. Sie kann es dagegen ruhig angehen lassen. Ein Frühstück, dann legt sie sich noch einmal ins Bett. "Das Schönste ist, dass ich wieder mehr Zeit für mich und meine Hobbys habe."

Die sportliche Frau geht gerne zum Schwimmen, fährt regelmäßig Rad oder ist mal mit einer Freundin unterwegs. Das Garteln macht ihr ebenfalls große Freude. Sie sei sehr zufrieden, wie es laufe, sagt sie. "Ich mag diese Arbeit sehr und bin viel ausgeglichener als früher." Nur ihr Partner muss sich umstellen, weil sie abends nicht zu lang aufbleiben möchte, um morgens fit zu sein. "Aber er gewöhnt sich schon noch daran", sagt sie und lacht.

Christine Naujoks ist seit vergangenem Oktober als teilzeitbeschäftigte Zustellerin für den Verlag tätig. Sie kommt aus dem Verkauf, aber der Druck in dieser Branche war ihr zuletzt zu groß geworden. Innerhalb weniger Monate ist sie zum Zustellprofi mutiert und bedient manchmal bis zu vier Bezirke pro Nacht. Die 56-Jährige ist wie ihre Kollegin Weiß als Springerin eingesetzt oder anders gesagt: Fällt jemand aus, übernimmt sie neben ihren zwei Bezirken obendrein dessen Tour. Das kann in Ingolstadt, aber auch in Hepberg, Vohburg oder Weichering sein. Mehr Arbeit, aber auch mehr Geld!

"Ich bin mein eigener Herr, und das ist gut", sagt Christine Naujoks. Dabei geht es ihr ähnlich wie Margit Weiß: "Ich fühle mich zufriedener als früher und habe mehr Zeit für meine Tochter, für mich und meinen Hund", erzählt die alleinerziehende Mutter. "Ich hätte nie gedacht, dass man als Zustellerin so gut verdient und so viel Bestätigung haben kann."