Ingolstadt
Geiselnahme und Vergewaltigung sind vom Tisch

Strafkammer am Landgericht Ingolstadt beschränkt Anklage gegen 47-Jährigen auf Freiheitsberaubung

25.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:44 Uhr
Der angeklagte 47-Jährige muss nicht nicht mehr wegen Geiselnahme und Vergewaltigung, sondern „nur“ noch wegen Freiheitsberaubung am Landgericht Ingolstadt verantworten. −Foto: Richter

Ingolstadt (DK) Was sich am Montag bereits abgezeichnet hatte, ist jetzt Fakt: Die 1. Strafkammer am Landgericht Ingolstadt hat die Anklage gegen einen 47-jährigen Landschaftsgärtner deutlich reduziert. Ihm wird jetzt statt Geiselnahme und Vergewaltigung „nur“ noch Freiheitsberaubung vorgeworfen.

Die Kammer hatte, wie berichtet, diese Beschränkung der Vorwürfe vorgeschlagen, weil es ansonsten schwierig würde, dem Angeklagten bei den übrigen Delikten einen Vorsatz nachzuweisen. Vorsitzender Richter Jochen Bösl machte dem mutmaßlichen Opfer am Dienstag klar, dass dieser Verfahrensschritt kein Ausdruck dafür sei, dass man der Frau nicht glaube. Ihr Verhalten mache diesen Schritt aber notwendig, weil die 55-Jährige trotz mehrerer sich bietender Gelegenheiten die Möglichkeit zur Flucht nicht genutzt hatte. Auch habe die Frau die sexuellen Übergriffe nicht mit erkennbarer Entschiedenheit abgewiesen, sodass dem Angeklagten eventuell gar nicht bewusst war, gegen ihren Willen zu handeln. Sie hatte vor Gericht dieses Handeln mit ihrer Angst vor dem Angeklagten erklärt, der gedroht habe, ihrer Familie etwas anzutun. Die Frau berichtete am Dienstag von erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Tat, sie könne ihrer Arbeit nicht mehr richtig nachgehen und leide unter Schlafstörungen.

 

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten ursprünglich vorgeworfen, die 55-jährige Allgäuerin im Raum Pförring (Kreis Eichstätt) geschlagen, gewürgt, entführt und nach Tschechien beziehungsweise in die Slowakei verschleppt zu haben. Dort soll er sie mehrfach vergewaltigt haben. Der 47-Jährige hatte die verheiratete Frau als persönliche Betreuerin angestellt. Von Geiselnahme und Vergewaltigung will er indes nichts wissen, sie habe vielmehr eine Liebesbeziehung zu ihm unterhalten. Sie sei freiwillig mit ihm gekommen und habe auch einvernehmlich mit ihm geschlafen. Für seine Version sprechen Bilder von Überwachungskameras in der Slowakei, die beide zur mutmaßlichen Tatzeit einträchtig und vertraut nebeneinander zeigen. „Sie wirken eher wie ein Liebespaar“, hatte es geheißen.

 

Jetzt bleibt mit der Freiheitsberaubung vergleichsweise wenig von den anfänglichen Vorwürfen übrig, denn Geiselnahme und Freiheitsberaubung sind juristisch gesehen zwei Paar Stiefel. Ersteres bedeutet die Entführung eines Menschen, „um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen“, wie es im Gesetzestext heißt. Hingegen ist Freiheitsberaubung bereits erfüllt, wenn jemand eingesperrt oder auf andere Weise festgehalten wird. Der Strafrahmen dafür beginnt in minder schweren Fällen bei sechs Monaten Gefängnis, bei Geiselnahme sind mindestens fünf Jahre fällig. Das Verfahren gegen die 64 Jahre alte Mitangeklagte des Mannes wegen Beihilfe zur Freiheitsberaubung ist am Dienstag gegen eine Geldauflage von 1000 Euro eingestellt worden. Für sie ist die Sache erledigt, sobald sie die Summe beglichen hat.

 

So ging der Prozess in die letzte Runde. In ihrem Schlussvortrag sah Staatsanwältin Isabell Wirsching es als erwiesen an, dass die Freiheitsberaubung sich so zugetragen habe, wie in der Anklage formuliert. Das Opfer habe die Geschehnisse bei Polizei und Gericht konstant und ohne Widersprüche wiedergegeben. Der 47-Jährige habe hingegen oft genug die Unwahrheit gesagt. „Wir haben einen Angeklagten kennengelernt, dessen Aussagen von besonderer Übertreibung geprägt sind.“ Wirsching sprach von einem „extremen Hang“, Lügengeschichten zu erzählen. Seine Unschuldsbeteuerungen nahm sie ihm daher nicht ab. Sie habe vielmehr „keine Zweifel, dass sich der Sachverhalt tatsächlich so zugetragen“ habe, wie vom Opfer geschildert. Als Motiv nannte sie Panik beim Angeklagten, dass seine „Märchen“ auffliegen könnten. Sie forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten.

 

Nebenklagevertreterin Ricarda Lang erschien der Strafantrag der Staatsanwältin jedoch viel zu niedrig. Sie zeigte auch keinerlei Verständnis für die Einstellung des Verfahrens im Fall der Mitangeklagten. Wenn der Bürger solche Dinge nicht mehr nachvollziehen könne, bestehe eine Gefahr für die Rechtsordnung, erklärte die Anwältin in leidenschaftlichen Worten. Noch dazu sei es zu einer schweren Gesundheitsschädigung bei ihrer Mandantin gekommen, sodass die Strafzumessung eine ganz andere sein müsse. „Da sind wir bei einem Rahmen von einem bis zehn Jahren.“ Sie beantragte, den 47-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von mindestens viereinhalb Jahren zu verurteilen. „Zwei Jahre und zehn Monate? Auf keinen Fall!“

 

Verteidiger Claus Gelhorn hielt beide Anträge für überzogen, bei der Nebenklagevertreterin sogar für „weit überzogen“. Er stellte die Frage, ob es nicht so gewesen sein könnte, dass das Opfer tatsächlich freiwillig mitgekommen sei, wie etwa besagte Videoaufnahmen nahelegen. Für ihn könne es nur Freispruch geben, weil die Schuld seines Mandanten nicht zweifelsfrei feststehe.

 

Zuletzt ergriff auch noch der Angeklagte das Wort und blieb wie schon zum Prozessauftakt dabei, dass „die Frau lügt“. Die 55-Jährige sei ohne jeden Zwang mit ihm unterwegs gewesen. Er werde für seine Unschuld kämpfen und „weitere Schritte unternehmen“, kündigte der 47-Jährige an.